Bürgerinitiativen wurden im ganzen Land gegründet, wir berichten über:

Das Neue Forum in Hoyerswerda

Viele Veränderungen vollziehen sich derzeit in unserem Land. Und immer wieder fällt dabei der Name Neues Forum, gehen von dieser Bürgerinitiative Impulse zur Umgestaltung aus.

Wir wollten genau wissen, wie es mit dem Hoyerswerdaer Neuen Forum aussieht, was sie wollen. Deshalb baten wir den bisher einzigen Vertreter des NF aus dem BKW, Kollegen Wilfried D(...) (Abteilung Absatz), um folgendes Interview:

Kollege D(...), vielleicht erstmal ein paar Bemerkungen dazu: Was ist Neues Forum, was sind die Ziele?

Das Neue Forum Ist eine Bürgerinitiative, bei uns in Hoyerswerda vereint es Vertreter aller Schichten der Bevölkerung. Das gilt such für die Parteizugehörigkeit. Parteilose, Genossen und Mitglieder anderer Parteien arbeiten hier eng zusammen. Wir verstehen uns als einen Anlaufpunkt für Bürger, die mit Ihren Sorgen und Problemen zu uns kommen und deren Anregungen und Gedanken wir zu Fragekomplexen zusammenstellen. Wir kümmern uns darum, dass diese Dinge an die zuständigen Verantwortungsbereiche im Kreis weitergeleitet werden und, beispielsweise auf Kundgebungen, auch so schnell wie möglich beantwortet werden.

Ist das Neue Forum dann so eine Art "Eingabesammelstelle"?

Auf keinen Fall, auch bei uns gibt es Arbeitsgruppen, die sich thematisch mit aufgeworfenen Fragen beschäftigen und nach Lösungsvorschlägen suchen. Je nach Interesse und Voraussetzungen beschäftigen wir uns mit Umweltschutz, Rechtsfragen, Wirtschaftsfragen und allen derzeit auf der Tagesordnung stehenden Problemen.

Dennoch drängt sich mir das Bild auf vom "drohenden Zeigefinger im Hintergrund".

So falsch ist das gar nicht, wir wollen ja auch eine Kontrollfunktion ausüben, damit es nie mehr zu Macht- und Amtsmissbrauch, Korruption und unmenschlichen Entscheidungen gegenüber unseren Bürgern kommt. Dabei geht es weniger um persönliche Dinge einzelner, sondern um grundlegende Fragen, die das gesamte Volk betreffen.

Entstanden Mitgliedern eurer Bürgerinitiative persönliche oder berufliche Nachteile?

Mir ist kein solcher Fall bekannt. Wir werden akzeptiert, und von Seiten der Betriebsleitungen und örtlichen Organe besteht eigentlich immer die Bereitschaft zu einer kooperativen Zusammenarbeit. Doch noch eine ganz wichtige Anmerkung: Es gibt viele Leute, die sich unter dem Deckmantel "Mitglied des NF zu sein", Einblick in Unterlagen oder beispielsweise Verkaufspraktiken von Geschäften in Hoyerswerda verschaffen wollen. Davon distanzieren wir uns, denn wir spielen mit offenen Karten, arbeiten mit legalen Mitteln.

Ich möchte auch ausdrücklich darauf hinweisen, dass es im BKW Welzow nur ein offizielles Mitglied des Neuen Forum Hoyerswerda gibt, und das bin ich. (Stand 30. November 1989 - die Redaktion) Wir haben sehr viele Sympathisanten, doch wenn es Fragen zu unserer Bürgerinitiative gibt, dann bitte an Wilfried D(..) richten (Tel. Spreetal (...)). Wir wollen und müssen vermeiden, dass unter unserem Namen Schindluder getrieben wird.

Wie steht ihr vom Neuen Forum zur Zusammenarbeit mit der SED?

Zusammenarbeit mit allen gesellschaftlichen Kräften schließt auch die Genossen mit ein. Doch man muss da auch differenzieren. Partner für uns sind all jene, die sich von der Clique oben distanzieren, die sich selbst aber ebenso nichts vorzuwerfen haben. Es gibt leider auch die "Wendehälse", die jahrelang nur ihren eigenen Vorteil vor Augen hatten und jetzt ängstlich um ihre Posten bangen.

Jeder Genosse sollte sich fragen: "Was habe ich getan oder nicht getan, was habe ich zu verantworten!" Jeder für sich persönlich, das wäre die Grundlage für einen neuen Anfang! Aufräumen müssen wir jetzt, schnell und gründlich, und besonders das hat sich das Neue Forum auf seine Fahnen geschrieben.

Welche Vorstellungen gibt es zur Perspektive des Neuen Forum?

Also, wir haben kein festgeschriebenes Programm, da wir keine Partei sind und auch nicht werden wollen. Wir haben keine "staatliche Macht" und maßen uns keine Machtfunktionen in den Betrieben an. Unsere Macht ist der Willen der Menschen, und die wollen unter anderem freie Wahlen.

Die Masse, unserer Mitglieder ist dafür, dass sich das Neue Forum nach diesen freien Volkswahlen auflöst. Dann sollten die Parteien die Kontrollfunktion selbst übernehmen, und jedem Mitglied des NF bleibt es frei überlassen, welcher Partei er sich anschließt, um dort für das Wohl unseres Landes zu arbeiten.

Eine letzte Frage: Wie finanziert sich eure Initiative?

In Hoyerswerda sind wir nur eine Bürgerinitiative, die sich bisher ausschließlich aus privaten Mitteln der Mitglieder finanziert hat. Also keine Devisenspenden, auch ein Angebot der Kirche, uns finanziell zu unterstützen, haben wir abgelehnt. Um besser arbeiten zu können, planen wir jetzt eine Spendenaktion, so wie es die Dresdener bereits erfolgreich praktiziert haben. Ein Problem für uns sind auch die Räumlichkeiten, für eine offiziell anerkannte Bürgerinitiative sollten, auch ordentliche Arbeitsbedingungen geschaffen werden.

Abschließend noch ein Angebot. Sollte Interesse bestehen, bin ich gern bereit, auf einem Forum, eventuell in unserem Kulturhaus, Fragen der BKW-Kumpel zu beantworten. Wendet euch direkt an mich (oder über die WBZ - die Redaktion), sagt, wen ihr eventuell noch dabeihaben wollt, um Antworten zu erhalten. Wenn es sich für euch lohnt, werden wir eine solche Sache organisieren.

Wir danken Ihnen für das Gespräch und werden Ihr Angebot weiterleiten.

Das Interview führte Torsten Berge

Anmerkung: Neues Forum ist der Oberbegriff für Bürgerinitiativen in vielen Orten der DDR. Wir wollten mit unserem Interview ausschließlich die Arbeit der Bürgerinitiative Hoyerswerda beleuchten. Ihre Ziele müssen nicht identisch sein mit denn anderen Bürgerinitiativen z.B. in Karl-Marx-Stadt, wo das Neue Forum zum Generalstreik aufrief.

aus: Welzower Betriebszeitung VEB Braunkohlenwerk Welzow, Nr. 44, 12. Dezember 1989, 15. Jahrgang, Herausgeber: SED-GO/Werksleitung des VEB Braunkohlenwerk Welzow


[Nur ein Mitglied des Sprecherrates des Neuen Forums rief, ohne Rücksprache mit den anderen fünf Mitgliedern, zum Generalstreik auf. Die anderen Mitglieder distanzierten sich einen Tag später von dem Aufruf.]

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