ERKLÄRUNG DES NEUEN FORUM BERLIN ZUR DEMONSTRATION AM 15.1.1990

I.

Der Aufruf des NEUEN FORUM war eindeutig auf eine gewaltfreie, phantasievolle Demonstration gerichtet. Der Forderung nach sofortiger Auflösung des ehemaligen MfS/AfNS sollte durch das symbolische Vermauern des Zugangs Nachdruck verliehen werden. Der Vorwurf, dass die Mauersteine, die dafür mitgebracht werden sollten, logischerweise zur Zerstörung benutzt wurden, muss entschieden zurückgewiesen werden.

II.

Ein Vertreter des NEUEN FORUM hatte mit der VP-Inspektion Lichtenberg konkrete Absprachen zur gemeinsamen Sicherung der Demonstration getroffen:

- Ein ständiger Kontakt über Funk und Lautsprecher war geplant, wurde aber nicht realisiert.

- Das Tor zur Normannenstr. sollte durch Ordner des NEUEN FORUM gesichert werden, vor dem Tor in der Ruschestr. sollte ein Lautsprecherwagen der VP stehen. Für die Sicherung des Innengeländes war die VP zuständig. Die Verbindung nach innen sollte ebenfalls über Funk hergestellt werden.

- Die Schnelligkeit, mit der die Tore von innen geöffnet wurden, hat unsere Ordner überrumpelt. Sie waren nicht mehr in der Lage, das Betreten des Geländes zu verhindern.
Zu klären bleibt, wie die Tore geöffnet wurden.

Nach Angaben des Präsidenten der VP waren Wachmannschaften des ehemaligen MfS auf dem Gelände anwesend, die auch über Schlüssel zu den Toren verfügten.

III.

Die Ordner des NEUEN FORUM, das Bürgerkomitee und spontan eingreifende Bürger bildeten Ordnungsgruppen. Sie konnten das Gebäude nach etwa 45 Minuten, also bis gegen 18.00 Uhr wieder räumen. Vertreter und Vertreterinnen des NEUEN FORUM riefen vor dem Tor über Lautsprecher und Mikrophon zum Verlassen des Gebäudes und zur Gewaltlosigkeit auf.

IV.

Wir bedauern die Zerstörungen, die durch kleine Gruppen von Demonstrationsteilnehmern angerichtet wurden. Hiermit erneuern wir unseren Aufruf zur Gewaltlosigkeit. Die begonnene Revolution muss mit ausschließlich friedlichen Mitteln weitergeführt werden.

aus: Das Neue Forum - Selbstportrait einer Bürgerbewegung, Demokratiebewegung in der DDR, Materialien zur gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, DGB-Bundesvorstand, Abt. gewerkschaftliche Bildung, ohne Ort und Datum


Vielerorts in der DDR hatten bereits Bürgerkomitees an die Türen der Stasi-Gebäude geklopft. In ihrem Hauptquartier in Berlin war von der Opposition lange Zeit nichts zu sehen. Am 10.01.1990 rief das Neue Forum für den 15.01. zu einer Demonstration auf. Gute zwei Monate nach der Öffnung der Grenze und dem Fall der Mauer in Berlin, sollten Mörtel und Steine zum Mauern mitgebracht werden. Der Forderung nach sofortiger Auflösung des ehemaligen MfS/AfNS sollte durch das symbolische Vermauern des Zugangs Nachdruck verliehen werden.

Vom Neuen Forum war ausdrücklich ein Betreten oder gar Besetzung des Geländes nicht vorgesehen. Während sich einige Hauptstädter frisch ans Werk machten und symbolische eine Mauer errichteten, hielten sich Vertreter von Bürgerkomitees aus der ganzen DDR schon seit Stunden auf dem Stasi-Gelände auf, ohne dass die Demonstranten außerhalb etwas davon wussten. Ausführungen der Bürgerkomiteevertreter Stunden zuvor am Zentralen Runden Tisch waren nicht zur Kenntnis genommen worden. Bürgervertreter trafen bereits um 13 Uhr in der Stasizentrale ein. Ihnen wurde zugesagt, dass ab 15 Uhr das Objekt frei von Personen der Staatssicherheit sei. Verhandlungen über eine Sicherheitspartnerschaft wurden aufgenommen.

Der Antrag des Neuen Forum, die Sitzung des Zentralen Runden Tischs um 16 Uhr zu beenden, da um 17 Uhr eine Demonstration vor dem Hauptgebäude der Staatssicherheit durchgeführt werden soll, wird mit Mehrheit abgelehnt. Die "alten" Organisationen achteten darauf mit der Stasi und deren Auflösung nicht in Berührung zu kommen. Dieses Feld wurde gerne den Bürgerbewegten überlassen.

Vertreter des Bürgerkomitees veranlassten nachdem sich immer mehr Demonstranten vor dem Gebäude versammelten, die Forderung nach Öffnung immer lauter und die Stimmung am Tor immer aggressiver wurde, die Öffnung des Tors. Was die davor Versammelten überraschte und später zu wilden Spekulationen führte. Die Spekulationen reichten von Stasi bis BND und CIA.

Nach der "Erstürmung" der Stasizentrale und den dabei verursachten Zerstörungen eilt Hans Modrow zum Ort des Geschehens und spricht zu den Demonstranten. Ulrike Poppe rief die Demonstranten zum Verlassen des Gebäudes auf. Sie sprach sich, wie Rainer Eppelmann auch, für Gewaltlosigkeit aus. Konrad Weiß bietet Oppositionelle vom Zentralen Runden Tisch vor Ort als Gesprächspartner an.

Die Außenposten zu besetzen, die Zentrale aber nicht, ein Beispiel, wie eine Revolution nicht durchgeführt werden sollte. Eine Besetzung der Stasizentrale zeitgleich mit ihren Außenposten hätte eine Situation wie die am 15.01.1990 verhindert.

Noch in der Nacht bildete sich ein Bürgerkomitee für die Stasizentrale. Die letzte Sitzung des Bürgerkomitees fand am 29.06.1990 als Abschiedsempfang im ehemalige Arbeitszimmer Erich Mielkes statt.

Einer muss in der Revolution auch aufräumen. Mitglieder des Neuen Forum räumten nach Abzug der Demonstranten in der Stasizentrale wieder auf.


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