Aufruf

Wir, die offene Gruppe des Schweriner Neuen Forums, wenden uns mit einem Aufruf zur Mahnwache an die Bevölkerung.

Angesichts des Führungswechsels in der SED haben wir Hoffnung auf baldige grundlegende positive Veränderungen, die wir mit einer Mahnwache öffentlich zur Diskussion stellen und Veränderungen unumkehrbar machen wollen.

Der friedliche, öffentliche und dauerhafte Dialog mit allen gesellschaftlichen Kräften ist der einzige Weg, die Vertrauenskrise zwischen Staat und Volk zu beseitigen.

Aber Reden alleine reicht nicht!

Wir haben lange, genug gewartet!
Wir müssen handeln!

Aus diesem Grund rufen wir alle an Veränderungen interessierten Bürger auf, Demokratie und offene Meinungsäußerungen jetzt und überall im Betrieb, in der Familie und auch auf der Straße kompromisslos zu praktizieren.

Folgende Probleme, die uns wichtig sind, wollen wir zur Diskussion stellen:

1. In einer demokratischen Gesellschaft darf es keinen festgeschriebenen Führungsanspruch jedweder Organisation geben, dieser muss im offenen Austausch erkämpft werden und auf einer breiten Basis der Bevölkerung beruhen.

2. Alle Organisationen die eine gesellschaftliche Begründung besitzen müssen reale Arbeits- und Mitsprachemöglichkeiten haben, was auch umfangreiche Publikationsmöglichkeiten beinhaltet.

3. Alle Entscheidungen der Regierung müssen öffentlich gefällt werden (einschließlich der geführten Diskussionen), überprüfbar und einklagbar sein.

4. Wir meinen, dass nur die Direktwahl von Führungskadern wahres Vertrauen befördern kann.
Das Wahlverfahren muss in der Richtung geändert werden, dass eine wirklich geheime Wahl stattfindet, die für jeden Bürger die Möglichkeit der freien Abstimmung ohne Angst vor Repressalien absichert.

5. Rechtssicherheit bedeutet für uns, jedem Bürger die Angst vor Strafverfolgung bei offener Meinungsäußerung zu nehmen. Solange es nicht genug reale Alternativen gibt, halten wir die Straße für einen legitimen Ort der freien Meinungsäußerung.

6. Leistungsprinzip bedeutet für uns, in allen Bereichen die gesellschaftliche Vergütung der real geleisteten Arbeit anzupassen.
Abschaffung jeglicher Privilegien materieller sowie ideeller Art!

7. Schaffung eines realen Verhältnisses zwischen Arbeitslohn und Preisen, das beinhaltet auch ein Überdenken der Subventionspolitik.

8. Unterschiede in der strafrechtlichen Verfolgung zwischen Botschaftsbesetzung und Republikflucht müssen zugunsten der wegen versuchter DDR-Flucht Inhaftierten beseitigt werden.

9. Jeder Bürger muss zu jeder Zeit in jedes Land reisen können.

10. Nur dem Gewissen des Einzelnen muss es überlassen sein, ob er sich dem Dienst an der Waffe, in Uniform unter Befehlsgewalt unterwirft, oder die noch zu schaffende Möglichkeit eines zivilen Wehrersatzdienstes nutzt.

Ohne die konkrete Mitarbeit eines jeden an seinem Platz in der Gesellschaft sind schnelle progressive Veränderungen unmöglich.

Hiermit stellen wir uns der Diskussion mit jedem Bürger unabhängig von seiner Weltanschauung.

Schwerin, den
23. 10. 1989
Neues Forum
Offene Gruppe

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