Warum keine Partei werden . . .

fragt inzwischen mancher im Neuen Forum. Wo es doch nun darauf ankommt, Konzepte zum Umbau unserer Gesellschaft zu entwickeln. Sagen wir uns und unseren Mitbürgern offen: Wir sind Leute mit ganz verschiedenen Anschauungen, wenn es konkret wird. Einige befürworten im Gegensatz zu dem noch zu diskutierenden Statutentwurf eine Entwicklung in Richtung soziale Marktwirtschaft mit gemischten Eigentumsformen, andere das Festhalten an Volkseigentum und Planwirtschaft. Wir sind organisiert in den überkommenen Parteien oder in der SDP, sind Parteilose, Christen, Freidenker. Was uns eint, ist der Kampf um Rechtsstaatlichkeit, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit und vor allem der Kampf für freie Wahlen, bei denen der Wähler zwischen konkurrierenden Parteien, also Programmen und deren Vertretern entscheiden kann. Das ist es, was auf der Straße einmütig gefordert wird. Allein darüber gibt es einen Konsens quer durch alle Bevölkerungsschichten und politischen Lager. Eine nationale Front, die den Namen verdienen würde - wir sagen aber Neuen Forum.

Wie nun, wenn beispielsweise jemand im Namen dieses Forums seine parteilichen Ansichten verkaufen möchte? Sich im Namen dieses Forums für "demokratischen Sozialismus" oder für "soziale Marktwirtschaft westeuropäischer Prägung" ausspräche, für Zweistaatlichkeit, Wiedervereinigung oder für eine Föderation? Gefährdete er nicht unsere Geschlossenheit im Kampf um das, was wir alle als unser Souveränes Recht behaupten? Sollten wir ihm nicht raten, sich in einem der Arbeitskreise des Neuen Forums für seine Ansichten einzusetzen? Ich meine ja. Er möge seinen Namen sagen und, wenn er sich den geforderten Grundrechten verpflichtet weiß, für seine Person sprechen. Nur wenn wir ein wirkliches Parlament durchgesetzt haben werden, können wir hoffen, dass uns unser differenzierendes Engagement mehr sein wird als Haschen nach Wind.

Wozu also heutigentags sich in Gesprächsrunden zu spezifischen Fragen treffen? Ich denke, um den einzelnen Parteiungen die Möglichkeit zu geben, sich über das zu informieren, was von anderen gedacht und gewünscht wird, und sich auf dieser Grundlage zu profilieren.

Der Kampf um unsere demokratischen Grundrechte sowie später deren Garantierung durch eine breite Übereinstimmung im Volk bleibt das eine, das Nachdenken über politische Konzepte das andere. Letzteres muss Sache der politischen Parteien sein, in denen ja jeder außer seinem Engagement im Neuen Forum weiter oder erstmalig mitarbeiten kann und sollte. Das Neue Forum aber braucht den Zusammenschluss der Demokraten aller politischen Lager, damit unabhängige sinnvolle Parteiarbeit überhaupt möglich wird. Wir wollen Exekutive der Straße sein und Podium für überparteiliche Diskussionen.

Wie in unseren Gremien wollen wir auch an dieser Stelle beides getrennt halten. Die Redaktion wird sich bemühen aus den künftig auszuwählenden Beiträgen auch konträre Positionen gegenüberzustellen.

Rainer K(...)

aus: Forum des Neuen Forum in Freie Presse, 18. 11. 1989, 27. Jahrgang, Organ der Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt der SED


Partei werden - nein! Partei ergreifen - ja!

Stellungnahme zu Rainer K(...) Artikel "Warum keine Partei werden" auf der FORUM-Seite vom 18.11.1989

Auf der Seite des Neuen Forums in der "FP" vom 18 11 89 wird im Artikel "Warum keine Partei werden ..." versucht, eine Begründung zu geben, warum das Neue Forum keine Partei werden will Ich befürchte, dass beim Lesen noch mehr Unklarheiten entstehen. Eins dürfte jedoch sicher sein: nicht wegen des konstruierten Gegensatzes zwischen sozialer Marktwirtschaft und Volkseigentum. Aus beiden lässt sich sogar eine ganz gute Mischung erreichen (siehe "Neue Konzepte" - Folge 2) Das, "was uns eint", ist auch nicht "vor allem der Kampf für freie Wahlen", auch nicht allein der "Kampf um Rechtsstaatlichkeit, Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit". Das, was uns wirklich vereint, ist die Empörung über die dogmatischen erstarrten Strukturen in Politik und Wirtschaft dieses Landes, die es kaum noch lebenswert erscheinen ließen. Nun haben sich diejenigen zusammengefunden, die sich nicht damit abfinden wollten und nicht nur neu tapezieren wollen, sondern morsche Balken herausreißen, um ein neues Fundament zu errichten.

Gefahr der Konzeptionslosigkeit beseitigen


Dafür braucht man natürlich ein Programm! Es ist völlig unklar, mit welcher Begründung R(...) K(...) nur den Parteien zugesteht, Programme haben zu dürfen. Jeder der sich "für" etwas ausspricht, wird von ihm bezichtigt, die "Geschlossenheit im Kampf" zu gefährden. Wollte man auf ihn hören wäre damit das Neue Forum zur völligen Konzeptionslosigkeit verurteilt. Stellen wir doch mal die klassische Frage: "Wem nützt das?"

Dafür tröstet der Verfasser damit, dass "wir unsere Geschlossenheit im Kampf um das, was wir alle als unser souveränes Recht behaupten" erhalten würden. Damit in diesem "Kampf" (für/um was eigentlich?) niemand stört wird es statt der Zeitung an die Arbeitskreise verwiesen. Dort soll er eich zuerst "informieren", dann "profilieren". Wie soll er das jedoch machen, er darf ja schließlich als Volk nur "den Kampf um unsere demokratischen Grundrechte" führen. Das "Nachdenken über politische Konzepte" soll nicht etwa Sache des ganzen Volkes, sondern "Sache der politischen Parteien sein". Vielen Dank diese trostreichen Einwecktöne hatten wir in den letzten Jahren genug gehört.

Neues Forum - Exekutive des Volkes auf der Straße


Erhebt steh nur die Frage, wozu wir dann als mündige Bürger überhaupt auf die Straße gegangen sind? Was will des Neue Forum also wirklich? "Exekutive der Straße sein" reicht wohl nicht aus, wenn man nicht analysiert, warum das Volk auf die Straße gegangen ist. Das heißt, das neue Forum muss Exekutive des Volkes auf der Straße sein und seinen Willen in sinnvolle Konzeptionen und Programme umsetzen und, im Falle der Akzeptierung, auch verteidigen, auch mit politischen Mandaten.

Damit auch nicht die zarteste Andeutung einer konsequenten Linie entsteht, verspricht der Autor dem Leser (und das im Namen des ganzen Redaktionskollektivs!), dass er auch in Zukunft keinerlei Linie sehen wird denn die "Redaktion wird sich bemühen, aus den künftig auszuwählenden Beiträgen auch konträre Positionen gegenüberzustellen".

Den Erwartungen der Leser gerecht werden


Es geht tatsächlich nichts über einen Meinungsstreit, aber es wäre wirklich interessant vom Leser zu erfahren, ob er vom Neuen Forum nur unterhaltendes Wortgetön erwartet oder sachliche und konkrete Vorschläge für umfassende und radikale Verhinderungen in allen Lebensbereichen. In letzterem Falle sind wir gern bereit unsere kollektiven Vorstellungen zu Reformen im politischen Überbau und vor allem in der Wirtschaft zur Diskussion zu stellen.

Über der ganzen Diskussion sollte als Motto stehen: Was nützt dem Menschen, was hilft unserer Gesellschaft am meisten. Am wenigsten nützt uns allen eine Spaltung dieser kraftvollen Bewegung, die schon so viel erreicht hat. Diese Erfolge verdankt sie dem Massencharakter der Bewegung. Diese Einheit der Interessen, quer durch die ganze Gesellschaft - und somit auch durch alle Parteien und Organisationen - macht das Neue Forum stark. Sind aber die Erfolge wirklich schon so groß, dass wir mit gutem Gewissen diese Stärke aufgeben können, um uns wieder in Parteien aufzusplittern? Wenn das einigende Band zu schwach ist, werden sich natürlich viele kleine Autoritäten bilden, aber wem nützt das zur Zeit? Ist das gegenwärtig wirklich vordringlich? Wollen wir nicht dieses einigende Band stärken!

Meinungspluralismus muss mehr als Selbstzweck sein


Natürlich kann man weder eine Gruppe noch eine Vereinigung oder eine Partei hindern, Kraft zu sammeln und sich eigenständig zu profilieren. Das Neue Forum würde sich wohl aber einen Bärendienst leisten, wenn es diese Tendenz unter dem Deckmantel eines verabsolutierten Meinungspluralismus fördert. Von der Konzeptions- und Linienlosigkeit ist nur ein kleiner Schritt bis zur Sprachlosigkeit und Anarchie. Anarchie liegt aber nicht im Interesse einer Gesellschaft, denn sie löst in keiner Weise ihre komplizierten Probleme.

Meinungspluralismus kann doch nicht nur Selbstzweck sein, Meinungsvielfalt nützt den Menschen nur dann, wenn sie aus den vielfältigen Meinungen die richtigen Schlüsse ziehen und diese in praktische Lösungen umsetzen.

Erwarten wir das vom Neuen Forum!

Eugen R(...),
Neues Forum/SED

aus: Forum des Neuen Forum in Freie Presse, 25. 11. 1989, 27. Jahrgang, Organ der Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt der SED

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