DDR 1989/90 Brandenburger Tor

Nelken: für ein breites rot-grünes Bündnis

Auf einem Treffen von Mitgliedern und Sympathisanten der Partei DIE NELKEN im Cottbuser Jugendklub Töpferturm sprachen sich alle Anwesenden für ein breites linkes Bündnis aus, in dem sich alle, die noch an die sozialen, kulturellen, ökologischen und ideellen Werte einer zukünftigen demokratischen DDR glauben, zusammenfinden. Dieses Wahlbündnis sollte sowohl marxistische, christliche und andere humanistische Kräfte im weitesten Sinne vereinen. Wir sind der Überzeugung, dass Frauenpolitik nur linke Politik sein kann. In einer sich leider entwickelnden Ellenbogengesellschaft (kapitalistische Marktwirtschaft) wollen wir unsere Stimme für alle sozial Schwachen, wie Kinder, Frauen, Rentner, Arbeitslosen, Ausländern und nationalen Minderheiten, erheben. Vereint worden wir für eine menschliche Gesellschaft und gegen den Raubbau an unserer Umwelt durch Industrie und Massentourismus kämpfen. Der blinde Ruf nach der Westmark und der "sorglosen" (seelenlosen) Überflussgesellschaft kann nicht unser Ziel sein, denn trotz der 40 Jahre Diktatur und Misswirtschaft haben wir Eigenständiges und Wertvolles erreicht. Wir sind für eine demokratische Gesellschaft, die etwas leistet mit den Menschen und für die Menschen. Wir sind nicht für eine unsoziale Leistungsgesellschaft nach westlichem Muster.

Empört sprechen sich DIE NELKEN gegen eine Preisgebe jeglicher DDR-Identität aus. Sicher der Druck durch die Straße, die sich durch lautstarkes Fahnenschwenken und radikale Kompromisslosigkeit gegenüber Andersdenkenden Gehör verschafft, ist groß. Ständig verlassen Tausende das Land. Aber, so fragen viele ehrliche Menschen, die mit Begeisterung in Tagen des Oktober die Wende herbeiführten und halfen, die korrupte Führung zu stürzen, wird unsere Stimme jetzt nicht mehr gehört? Auch wir sind das Volk!

Die CDU buhlt um westliche Unterstützung und die bringt die Modrow-Regierung fast zu Fall, die SPD nutzt die Gunst der Stunde und erpresst vorzeitige Wahlen. DIE NELKEN betrachten mit Sorge, dass unsere junge aufbrechende Demokratie schon bei der ersten freien Wahl vergewaltigt wird. Es ist wenig lebensnah zu glauben, dass eine nach durchgepeitschtem Wahlkampf gewählte Volkskammer mehr Vertrauen in der Bevölkerung besäße als die jetzige. Aber auf Grund der sich täglich zuspitzenden Situation in unserem Land sind wir letztlich zu dem Schluss gekommen, dass in einer Demokratie Volksinteresse stets vor Parteiinteresse stehen muss. Trotzdem fordern wir, dass wenigstens die im Wahlgesetz vorgesehene 60-Tage-Frist eingehalten wird und damit die neuentstandenen Parteien im Wahlkampf halbwegs gerechte Chancen haben.

Der Standpunkt zur deutschen Einhalt ist in diesem Wahlkamel zu einer Schlüsselfrage geworden. Wir sind dar Meinung, dass die grundlegenden Menschheitsfragen nur in einem geeinten Europa zu lösen sind, das ein sozial gerechtes und ökologisch verträgliches Zusammenleben garantiert. Gleichzeitig muss der Ost-Welt-Konflikt gelöst, und Schritte zum Abbau das globalen Nord-Süd-Gefälles begonnen werden. In diesem europäischen Haus brauchen wir ein deutsches Doppelzimmer mit offenen Türen. Bei der Einrichtung werden wir sicherlich westliche Hilfe und Unterstützung benötigen, aber nicht unter der Bedingung, dass wir all unsere Werte vor der Tür stehen lassen und nach und nach auch noch den Rest unterer Ideale aus dem Fenster werfen. Wir sind also für ein geeintes Deutschland aber nicht für Selbstaufopferung. Aber Herr Kohl ist ja nicht mal zu einem neutralen Deutschland bereit, geschweige denn zu anderen Reformen, die einen Konsens ermöglichen. Lieber wartet er mit seiner angepriesenen Hilfe, bin wir restlos ausbluten und keine Bedingungen mehr stellen können.

In einer Zeit, in der sich konservative Kräfte mit enormer westlicher Unterstützung für den Sturm auf unsere sozialistischen Errungenschaften zusammenfinden, sind die linken Kräfte zersplittert. Darum suchen DIE NELKEN zusammen mit der "Vereinigten Linken" ein Wahlbündnis mit allen Bürgerinitiativen und neuen Parteien für einen Konsens in folgenden programmatischen Punkten

1. Sicherung einer eigenständigen politischen und kulturellen ldentität der heutigen DDR mit dem Ziel des Zusammenschlusses von zwei gleichberechtigten Staaten in einem neutralen Deutschland.

2. Erhalt bzw. Schaffung von gesellschaftlichem Eigenrum in der Groß- und Grundindustrie. Gleichberechtigung aller weiteren Eigentumsformen.

3. Sicherung der Vollbeschäftigung durch ein umfangreiches Qualifizierungs- und Umschulungssystem, neue Strukturpolitik.

- Kein Sozialabbau

- Sofortige Anhebung der Rentengrundbeträge und Pflegesätze

4. Ökologisches Sofortprogramm.

Kontaktadresse: DIE NELKEN. Reiner W(...), 7500 Cottbus, postlagernd.

aus: Lausitzer Rundschau, Nr. 35, 10.02.1990, 39. Jahrgang, Unabhängige Tageszeitung

Δ nach oben