Initiative für unabhängige gewerkschaften info nr. 3 vom Januar 1990

WER VERTRITT WESSEN INTERESSEN ?

BEITRÄGE ZUR BETRIEBSRATSDISKUSSION

Eine Arbeitsgruppe des Ministerrates will einen Gesetzentwurf über Demokratisierung von Wirtschaftsunternehmen vorlegen. Schon die Erarbeitung geht äußerst "demokratisch" zu - oder wurde jemand von euch zur Mitarbeit aufgefordert? Wie demokratisch wird erst ein Inhalt sein?

Im ND vom 9. Januar, auf Seite 3, lässt Frau Prof. T(...), ein Mitglied dieser Arbeitsgruppe, schon mal gucken und was da zum Vorschein kommt ist beängstigend: Sehr gönnerhaft will Frau Professor die Werktätigen zunächst "die Formen ihrer Interessenvertretung nach ihren Vorstellungen " wählen lassen, sie sollen selbst entscheiden, ob sie einen Betriebsrat oder eine Gewerkschaft haben wollen... Doch einmal entschieden, fällt die Klappe zu! Denn nach Vorstellung der Expertin steht fest, dass es nur entweder Betriebsrat oder Gewerkschaftsvertretung geben kann. "Klar muss ein", verkündet sie, "dass die im AGB (Arbeitsgesetzbuch) verbriefen Rechte der BGL nur durch ein legitimiertes Gremium vertreten werden können."

Und was erwartet die Kollegen nun, wenn sie, sagen wir mal, den Betriebsrat bevorzugt haben? Frau Prof. T(...) fasst es dem erstaunten Leser so zusammen: "Die Betriebsräte sollten die gleichen Befugnisse haben, wie sie bisher die zuständigen betrieblichen Gewerkschaftsleitungen nach AGB besitzen bzw. besaßen."

Na großartig, das hatten wir ja schon. Es bleibt also alles beim alten: vage Befugnisse in Bezug auf ein "allgemeines Mitwirkungsrecht" und natürlich kein Vetorecht und kein Streikrecht!

Aber was soll dann die Kampagne um Betriebsräte, die von Partei und Regierung so eifrig geführt wird, wenn sie sich am Ende gar nicht von der alten BGL unterscheiden? Wer da vermutet, die Sache hat einen kräftigen Haken, liegt nicht ganz schief. Diesem, vielen so verlockend erscheinenden Betriebsrat, fehlen nämlich ganz entscheidende Seiten, die eine richtige, kämpferische Gewerkschaft aber hat: zum einen gibt es für ihn keine Möglichkeit, etwas gegen die Betriebsleitung durchzusetzen. Wozu auch?, denn nach dem Willen seiner Erfinder soll er schließlich nicht ständig den Interessengegensatz zwischen den Werktätigen und dem Unternehmer betonen, sondern die Interessen beider Seiten gleichermaßen wahrnehmen - dieses Wunder wird allerdings auch dem besten Betriebsrat nicht gelingen. Zum andern wird die Arbeit der Betriebsräte vom Unternehmer bezahlt, was offenbar ihren Ruf als "verlängerter Arm" der Direktion begründet hat.

Sollten in der DDR eines Tages also kampfstarke Gewerkschaften entstehen, weil entsprechende (schlechte) Erfahrungen mit den Wirtschaftskonzepten der alten und neuen Parteien gemacht wurden kein Problem: inzwischen sind längst Betriebsräte installiert. auf die die Gewerkschaften nur noch sehr indirekt Einfluss nehmen können. Wenn das auch noch auf vielfachen Wunsch der Werktätigen selbst passiert, haben wir genau das, was man beim Fußball ein Eigentor nennt.

Was nämlich haben, nach Frau T(...), die Gewerkschaften für eine Funktion in ihrem neuen Wirtschaftsmodell? Auf der Betriebsebene - keine. Wenn sie hier mitreden wollen, dann müssen sie sehen, wie sie in den Betriebsrat reinkommen. Weil aber Frau Professor die Funktion der Gewerkschaften ohnehin auf "soziale Fragen" beschränkt wissen möchte (von Mitbestimmung bei Planung und Gewinnverteilung ist keine Rede), verweist sie auf die Branchengewerkschaften. Die können sich mal selbst überlegen, welche Befugnisse sie einklagen sollten. Das interessiert Frau T(...) nicht besonders, darum spricht sie auch nicht vom Gewerkschaftsgesetz und natürlich auch nicht von Streikrecht. Ihre Sorge ist vielmehr, wie man es schaffen kann, dass die Arbeit der Betriebsräte, "Unternehmensräte, Wirtschafts- und Sozialräte oder Aufsichtsräte" recht bald in einem entsprechenden Gesetz verankert werden.

Die Unternehmerseite rüstet sich also, und wenn wir nicht aufpassen, ist sie wiedereinmal schneller als wir.

Was bringt mehr - Gewerkschaft oder Betriebsrat ?

Unter dieser Überschrift veröffentlichte die TRIBÜNE am 21.12. auf Seite 2 die Meinung eines Experten aus der Rechtsabteilung der Verwaltungsstelle Berlin (West) der IG Metall. Wir zitieren daraus Ausschnitte, die Unterstreichungen stammen von uns.

Welche Rechte hat bei euch der Betriebsrat?

Er hat keinen Einfluss auf wirtschaftliche Maßnahmen des Betriebes. Er ist wie der Samariter mit dem Pflaster: Sozialplan, Abfindungsregelung, sanfte Landung. Also eigentlich ein bißchen Kleister drumherum. Von der Ideologie her wollten wir nie Betriebsräte haben. Aber wir müssen damit leben, dass sie sich entwickelt haben.

Also ist er keine Tarifpartei ?

Nein, das ist die Gewerkschaft. Deshalb muss man sie stärken. Wenn die Betriebe zu lange Oberwasser kriegen, dann ist das mit allen Demokratieansprüchen nicht mehr aufzuholen. Das lässt sich nachprüfen."

Soweit Auszüge aus diesem Interview. Aber so gut der Experte aus Berlin (West) die Lage im eigenen Lande durchschaut, so wenig scheint ihm klar geworden zu sein, was bei uns vor sich geht: er hält den FDGB offenbar für eine brauchbare Interessenvertretung. Das verleitet selbst den Reporter der TRIBÜNE zu der Feststellung: "Aber es zeigt sich, dass es nicht funktioniert hat bei uns..."

Auf einmal waren sie da ?

Die oben aus der TRIBÜNE zitierte Stimme ist nicht die einzige, die resigniert feststellt: "... wir müssen damit leben, dass sie (die Betriebsräte) sich entwickelt haben". Aber wie ist es dazu gekommen? Im Sachwörterbuch der Deutschen Geschichte heisst es knapp: "Das BVG (Betriebsverfassungsgesetz) wurde am 19. Juli 1952 gegen den Willen der Gewerkschaften vom Bundestag mit 195 gegen 140 Stimmen angenommen..." Es ist also keineswegs so, dass niemand da war, der gesehen hätte, wo der Hase hinläuft. Es gab Arbeitskämpfe und Protestdemonstrationen. Aber es gab offenbar keine politische Kraft, die eine solche Entwicklung verhindern konnte?

In gewisser Weise stehen wir in der DDR heute vor der gleichen Situation. Die Regierung ruft nach Betriebsräten und auch die SED-PDS verlangt danach. Allein diese Tatsache sollte sehr zu denken geben und uns veranlassen, noch einmal genau zu prüfen, ob auch wir uns diesem Ruf vorbehaltlos anschließen, statt uns die Stimmen jener, die mit einem Betriebsverfassungsgesetz wider Willen "leben müssen", ein Warnung sein zu lassen.

Am 1. Januar 1989 trat nun eine Neufassung des BVG in Kraft, weil das alte Gesetz es nicht mehr brachte. Die Wahlperioden wurden verlängert, und das hat seinen Sinn. Wenn sich Management und Betriebsrat nämlich so richtig aneinander gewöhnt hatten, mussten sie sich bislang bald wieder trennen, denn immerfort standen Neuwahlen an. Das hat die CDU/FDP-Koalition nun endlich geändert. Wenn die Belegschaften sich jetzt bei ihrer Wahl in den Kandidaten für den Betriebsrat getäuscht haben und von denen verschaukelt werden, dauert es ein Jahr länger, bis die Gelegenheit zur Abwahl kommt.

In der Zwischenzeit arbeiten "Arbeitgeber und Betriebsrat (...) unter Beachtung der Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes zusammen." § 2 (1) (Hervorhebungen von der Redaktion).

In diesen Betrieben ist offenbar die allgemeine Harmonie ausgebrochen und der Betriebsrat hilft, sie zu erhalten, denn "Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgebern und Betriebsrat sind unzulässig".
§ 74 (2)

Wem übrigens gewisse Töne in besagtem Gesetzt bekannt vorkommen: entstehende Ähnlichkeiten sind rein zufällig.

A propos Recht:

Die DDR-Volkskammer ändert die Verfassung scheibchenweise. Nachdem "die führende Rolle der Partei" dran glauben musste, konnte man nun nicht länger mit der folgenden Einführung des Artikels 14a warten:

"(1) Die Gründung von Unternehmen mit ausländischer Beteiligung durch Kombinate, Betriebe, Einrichtungen, Genossenschaften sowie Handwerker und andere Bürger ist auf der Grundlage der Gesetze und anderer Rechtsvorschriften zulässig.

(2) Die Mitbestimmung der Werktätigen an der Leitung der Unternehmen mit ausländischer Beteiligung wird gewährleistet."

Unser Kommentar:

Das "Hohe Haus" stimmte dieser Verfassungsänderung am 12. Januar mit 2 (in Worten: zwei) Stimmenthaltungen zu. Der "Protest" der FDGB-Fraktion der Volkskammer beschränkte sich auf die bescheidene Frage, wie die Regierung die Mitbestimmung und das Recht der Werktätigen in diesen Unternehmen sichern will?

Aber Frau Prof. Luft hat keine besonderen Vorstellungen zu dieser Problematik. Sie meint, wenn man unsere großartigen DDR-Gesetze zur "Mitbestimmung der Werktätigen an der Leitung der Unternehmen" und zum Schutz dieser Werktätigen auf jene ausländischen Betriebe anwende, könne nichts Böses geschehen ... Wir haben leider eine 40-jährige gegenteilige Erfahrung machen müssen, Frau Professor, und können uns auch nicht vorstellen, dass sich ausländisches Kapital von unsereins in die Leitung seiner Unternehmen wird reinreden lassen. Ein Trost bleibt uns aber: Auch "andere Bürger", solche wie du und ich, können "Unternehmen mit ausländischer Beteiligung" gründen. Dagegen sind Volksaktien nur kleine Fische. Hoffen wir also, dass unsere Werktätigen nicht aus Angst vor einer drohenden Währungsreform all ihre Ersparnisse in sog. langlebige Konsumgüter gesteckt haben, sonst fehlt es ihnen nämlich am nötigen Kleingeld für Investitionen in diese Joint ventures.

Was sollen die Betriebsräte?

In der DDR wird neuerdings die Frage nach Schaffung von Betriebsräten sowohl seitens der SED und des wirtschaftlichen Managements als auch von neuen Parteien, Vereinigungen und in Betriebsbelegschaften diskutiert.

Angesichts der Erfahrungen mit dem Weimarer Betriebsverfassungsgesetz von 1920 und der wenig rühmlichen Rolle der damaligen Betriebsräte und angesichts der Funktionen westlicher Betriebsräte als Faktor zur reibungsarmen Steigerung des Unternehmergewinns muss die Frage gestellt werden, wem die Einrichtung von Betriebsräten heute in der DDR nützen wird.

Sollen diese Räte die alten stalinistischen Betriebsleitungen legitimieren und so die Weiterführung der bisherigen Bankrottwirtschaft verbunden mit dem Ausverkauf des Betriebe und steigender Inflationsrate garantieren oder sollen sie dazu berufen sein, Machtinstrument der Arbeiter, Ingenieure und Ökonomen zu werden, um den Anlauf unserer Betriebe zum Zwecke einer am gesamten gesellschaftlichen Gebrauchswertbedarf orientierten Produktion zu organisieren?

Dafür, dass das letztere Wirklichkeit wird, fehlen im Moment die Voraussetzungen. Das ist erstens eine funktionierende Gewerkschaft als Basis für das Entstehen und von unten kontrollierte Arbeiten solcher Räte sowie als überbetriebliche solidarische Organisation der Arbeiter und Angestellten. Zweitens fehlt dafür im Moment der allgemeine Druck von unten, also aus den Belegschaften

Ohne diese Voraussetzungen werden die Räte zwangsläufig zu Organen von oben, also zum Schutz der Managerinteressen werden.

Die Politiker der SED und weiterblickende Betriebsdirektoren wissen das. Sie wollen durch die Einrichtung von ihren Betriebsräten einerseits einer wirklichen Rätebewegung, welche ihre Macht in Frage stellen würde, zuvorkommen und andererseits das Entstehen von unabhängigen Gewerkschaften für nicht nötig erklären und verhindern.

Nach ihren Vorstellungen sollen die Betriebsräte die Rechte haben, der Betriebsleitung lediglich Vorschläge zu unterbreiten, sich über die Absichten der Betriebsleitung zu informieren und die Informationen an die Belegschaft weiterzugeben!!!!!

Es ist absehbar, dass wirkliche Mitbestimmungs- und Selbstbestimmungsrechte der Arbeiter und Angestellten dabei in der Praxis keine Rolle zu spielen haben. Die Betriebsräte sollen den innerbetrieblichen "Frieden" gewährleisten und sie werden keine Rechte zur Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen bekommen. Sie werden als Stimmungsbarometer der Betriebsleitungen dienen und damit nicht Kontrolleinrichtungen der Werktätigen, sondern Kontrollorgane über sie sein. Genau diese Funktion hatte bisher die FDGB-Betriebsgewerkschaftsleitung zu erfüllen.

Verständlich sind die Bestrebungen von einigen Belegschaften, auf Grund des Versagens des FDGB und des Fehlens einer neuen Gewerkschaft Betriebsräte als Interessenvertretung der Gesamtbelegschaft zu gründen. Diese Versuche müssen unterstützt werden, ohne zu vergessen, wo die Gefahren liegen.

Eine der jetzigen Hauptaufgaben für alle sich als demokratisch verstehenden Kräfte sollte jedoch der Kampf um eine unabhängige Gewerkschaft, also für einen überbetrieblichen Zusammenschluss sein. Denn die Demokratie in der Gesellschaft ist unmöglich ohne die Demokratie im Betrieb.

Uwe B(...)

berichte aus dem betrieb

Die folgenden Mitteilungen sind uns zugegangen und stimmen nicht in jedem Punkt mit der Meinung der Redaktion überein. Für ihren Wahrheitsgehalt tragen die Verfasser die Verantwortung.

Die Zukunft hat schon begonnen!

" - BGL durch staatliche Leitung ausgegrenzt -

In einem an die Betriebsleiter gerichteten Informationsmaterial des Generaldirektors Kombinat Tierzucht zu "Festlegungen zur Reduzierung des Informationsaufwandes..." wird unter der Rubrik Fachbereich Kader-Bildung im Stabstich 3 festgelegt: "Über die Einstellung von Mitarbeitern, einschließlich von Leitungskadern entscheidet eigenverantwortlich der Leiter. Eine Befragung oder Zustimmung anderer Organisationen erfolgt nicht."

Noch gilt das AGB mit den darin verankerten Rechten der Gewerkschaft. Durch Festlegung des GD werden hier Grundsätze des geltenden Rechts mißachtet (z.B. § 22 Abs. K/AGB). Sollte also schon vor Auflösung des FDGB dieser von seinen Rechten "befreit" werden, ist unverzüglich durch einen Zusammenschluss der Werktätigen in freien, unabhängigen Gewerkschaften eine Interessenvertretung zu erzwingen.

- Existenzangst greift um sich -

Grund dafür sind die Äußerungen des Direktors zur Perspektive unserer Mitarbeiter in einem "ökonomisch durchdachten Betrieb". Auf einer Arbeitsberatung am 12.12. und vor der Belegschaft am 14.12. wurden unsere perspektivischen Möglichkeiten schon für eine Entwicklung bis zum Jahr 1991 angedeutet. Die wesentliche Basis des VEB Vollblutrennbahn - die Rennpferde - soll durch eine teilweise Rennstallangliederung an die Vollblutgestüte und Verkauf der übrigen Rennpferde an In- und Auslandsinteressenten aufgelöst werden. Die Zielstellung - drastische Senkung der staatlichen Zuschüsse durch Kosteneinsparung - ist deutlich. Ungewiss dagegen ist die Zukunft vieler "jetziger" Mitarbeiter.

R. I(...), BGL-Vors."

Gegensätze worden deutlicher

Auszüge aus einem Brief, der uns zum "Gründungsaufruf" erreichte:

"Aus Sorge um unseren Betrieb, derzeit noch Möbelkombinat Berlin, der schon seit Zeiträumen immer wieder die Kritik und den Unmut der in ihm tätigen Arbeiter hervorruft, weil uns von den Leitungsebenen nur die primitivsten Arbeitsbedingungen zugestanden wurden, unterstützen wir den Beitrag sinngemäß und sind der gleichen Meinung, dass heute mehr denn je Interessengegensätze zwischen Werksleitung/Kombinatsleitung und Werktätigen bestehen. Das ist in allen täglichen Problemstellungen erkennbar. Wir sind nach etlichen vergeblichen Versuchen, die Direktoren - und davon haben wir viele - auf den neuen, attraktiven Weg der progressiven Produktionsgestaltung zu bringen, heute der Auffassung, dass diese das entweder nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollen.

Wir wissen, dass die Rekonstruktion und sachgemäße Erneuerung unseres Werkes viel Arbeit bringen wird. Aber dazu sind u.a. ehrliche und fruchtbringende organisatorische Maßnahmen aus den Leitungsebenen notwendig und werden uns bewusst und mit diktatorischen Mitteln verweigert. Stattdessen versuchen diese Leiter ihre Unfähigkeiten auf die Arbeiter abzuwälzen, indem sie nicht davor zurückschrecken, die Arbeiter bei jeder eintretenden katastrophalen Situation zu beschimpfen. Solche Situationen haben wir täglich, weil seit vielen Jahren der technische Zustand des Werkes in einem permanent schlechten Zustand ist.

Uns Arbeitern diesen Zustand anzulasten, obwohl gut und vernünftige Ideen und Gedanken zur Mitgestaltung bisher in den bürokratischen Mühlen stecken bleiben, ist empörend und nicht mehr akzeptabel. Da sämtliche Rechtsgremien, an die wir uns bisher wenden konnten und mussten, voreingenommen sind und noch in der alten Apparatweise funktionieren, wird es hohe Zeit, dass progressive Kräfte greifen."

Der Brief endet mit dem Satz: "Wir wollen nie wieder den Namen FDGB", und ist von 11 Kollegen unterzeichnet.


kurz berichtet ...

... Am 29.12. schlossen sich die beiden Basisgruppen im Berliner Werk für Fernsehelektronik zusammen und gaben sich den Namen INITIATIVE UNABHÄNGIGE GEWERKSCHAFT WF.

... im Berliner Backwarenkombinat, Betriebsteil Coppistraße, sind 80 % der Kollegen aus dem FDGB ausgetreten ...

... auch im Fuhrpark der Berliner Stadtwirtschaft ist die BGL abgewählt worden ...

... Sprecherrat im Berliner Wärmegerätewerk gegründet...

... die Mitarbeiter im Großplanetarium der Sternwarte sind aus der Gewerkschaft (MSK) ausgetreten
... Betriebsrat als Übergangslösung gebildet...

....im Sender "Stimme der DDR" gibt es seit Neuestem einen Redakteursrat, der alle inhaltlichen Leitungsfunktionen übernommen hat...

...die Mitglieder der KG, Betriebsteil Instandhaltung, Abteilung Gebäudetechnik, Berlin, fordern eine geänderte Wahlordnung für den FDGB-Kongress, um eigene Kandidaten vorschlagen zu können.


O F F E N E      B R I E F E

In Zeiten, da es viel Anlass zur Empörung gibt, werden auch viele "Offene Briefe" geschrieben. Der Grund, der die Wählergemeinschaften Fredersdorf, Petershagen, Eggersdorf b. Berlin bewegte, sich an die BERLINER ZEITUNG zu wenden, ist eigentlich "vom Tisch". Da aber grundsätzliche Probleme angesprochen sind, bringen wir trotzdem Auszüge:

"Drei Jahre Lohnausgleich für wen?, für was?

Die jetzt überflüssigen Posten mit ihren Inhabern waren seit jeher überflüssig und dienten nur der Stützung des stalinistischen Machtapparats. Wer sich dazu hergab - SED und FDGB-Funktionäre etc. - hat jahrzehntelang seine Vorteile genossen, nun muss er die Folgen tragen. Wenn er sich endlich bei ehrlicher Arbeit seinen Lebensunterhalt verdienen darf, so kann die Bezahlung nur nach Leistung erfolgen." (...) Noch sitzen die Altprivilegierten auf ihren Pfründen, da werden ausgerechnet vom Ministerrat und FDGB zehntausende Neoprivilegierte geschaffen. Das verstößt gegen Artikel 24 der Verfassung der DDR als höchstes und unmittelbar geltendes Recht.

Noch furchtbarer aber ist der moralische Verstoß gegen den neu erklärten obersten Grundsatz von SED-PDS und FDGB, eine leistungsgerechte Bezahlung für alle anzustreben. Fazit: Sie lügen wie bisher! Und die Folgen: Nationalistische Elemente (...) mausern sich. - Und die Ausreisewelle aus der DDR hält an!

Müssen wir denn nun wirklich erst das durchmachen, was in Rumänien geschieht?, damit die Nachfolger von Honecker und Tisch nicht nur an die Rettung der Privilegien ihrer Gefolgschaft denken, vielmehr an das Wohl aller Bürger? Schaut deshalb den Etablierten mehr auf die Finger als aufs Maul! Denn der Schoß ist fruchtbar noch..."


Gewerkschaftsbosse hüben und drüben an einem Tisch ...

Grund zum Ärger, dem Kollegen aus Ost und West in einem Schreiben an den Hauptvorstand der IG-Metall und die Zeitung METALL Luft machen, gab die Zusammenarbeit der IG Metall-Funktionäre beider Seiten:

"... Zu Recht hat der IGM-Hauptvorstand sich für Betriebspartnerschaften, gemeinsame Seminare und gewerkschaftliche Kontakte mit Kollegen in der DDR ausgesprochen. Diese Kontakte werden aber laut Presseberichten über die IG des FDGB organisiert, d.h. eine Institution, die über 40 Jahre lang die SED-Politik mitgetragen hat.

Eine Zusammenarbeit mit diesen Kräften stützt diese, und wir halten das für einen Skandal.

Wir fordern den Hauptvorstand aber auch die Ortsverwaltungen und Vertrauenskörperleitungen auf, vor allem die Kollegen zu unterstützen, die heute für unabhängige Gewerkschaften eintreten, egal ob sie neue Gewerkschaften oder Arbeiterräte gründen oder die betrieblichen gewerkschaftlichen Strukturen reformieren wollen.
(...)

Wir wollen nicht, dass die DDR zu einem Billiglohnland wird."

Ärger macht uns aber nicht nur die IGM, sondern ihr Dachverband, der DGB treibt es noch ärger. Die IUG hat sich deshalb an den Bundesvorstand des DGB gewendet:

Sehr geehrte Damen und Herren!

Wie wir den Meldungen der Medien in Ost und West entnehmen, sind Sie mit Funktionären auf "höchster Ebene" übereingekommen, dem FDGB massiv unter die Arme zu greifen. Sie unterstützen damit nicht etwa die Entstehung einer authentischen Interessenvertretung der Werktätigen in der DDR, sondern Sie helfen einem verbürokratisierten und - bewusst oder unbewusst - korrupten Apparat im Amt zu bleiben, einem Apparat, dem seine Mitglieder zu Hunderttausenden davonlaufen und millionenfach die Beitragszahlung verweigern - warum wohl?

Wenn eine Mehrheit den FDGB trotzdem noch immer nicht verlassen hat, dann weniger deshalb, weil an eine tatsächliche Reformierbarkeit dieses monströsen Fossils geglaubt wird, sondern aus der berechtigten Sorge, dass das über Jahrzehnte aus Beitragsgeldern geschaffene - Gewerkschaftsvermögen nun endgültig in die falschen Hände gerät.

Ein solcher Apparat ist nicht reformierbar und jeder aufrechte Gewerkschafter, dem nicht in erster Linie an seinem Pöstchen gelegen ist, sondern der sich dafür verantwortlich fühlt, dass die Werktätigen nicht länger ohne Interessenvertretung dastehen, müsste sich konsequenterweise für die sofortige Selbstauflösung des FDGB einsetzen, um mit der Organisierung wirklich freier Gewerkschaften ungehindert beginnen zu können. Bis dahin sollte das Vermögen unter Treuhandverwaltung gestellt und entsprechend dem Willen der Mehrheit zusammengehalten, statt weiter auf die alte Weise z.B. für Funktionärsgehälter verschwendet zu werden.

Mit seinem Verhalten schafft der DGB - wie vor ihm schon die IG Metall (West) - einem Verein von Bankrotteuren neue Reputation, trägt zur Verwirrung an der Basis bei und versetzt allen Kollegen, die sich aus eigener Kraft um unabhängige Interessenvertretungen bemühen, einen schweren Schlag. Daran ändert es wenig, dass auch solchen Gruppen Hilfe angeboten wird.

Vermutlich befürchten Sie, dass bei uns Organisationen entstehen könnten, in denen die Mitglieder mehr zu sagen haben, als es auch bei Ihnen der Fall ist.

Dagegen protestieren wir entschieden und fordern alle Gewerkschafter in Ost und West auf, sich dem anzuschließen.

INITIATIVE FÜR UNABHÄNGIGE GEWERKSCHAFTEN

Ob die, dazu am 12.1. herausgegebene Pressemitteilung tatsächlich irgendwo erschienen ist, entzieht sich leider unserer Kenntnis.

Die folgende Presseerklärung sollte am selben Tag das Licht der Welt erblicken:

Auf vielfache Anfrage teilt die INITIATIVE  FÜR  UNABHÄNGIGE GEWERKSCHAFTEN  (IUG) mit, dass sie nicht zu den Veranstaltungen einer Demonstration gehört, die von der Presse in Ost und West für den 20. 1. [1990] angekündigt wird. Aus unserer dreimonatigen intensiven Arbeit auf diesem Gebiet sind uns weder P(...) W(...), der in diesem Zusammenhang genannt wird, noch jene 18 Gruppierungen bekannt, auf die er sich beruft.

Unseres Wissens tagt zur Vorbereitung, besagter Demonstration am heutigen 12.1. ein Koordinierungskomitee bezeichnenderweise in den Räumen der CDU (West), wo P. W. auch ein Kontaktbüro zur Verfügung stehen soll.

Wir unterhalten keinerlei Beziehungen zur CDU und suchen auch keine Unterstützung bei deren Sozialausschüssen. Eine solche, den Unternehmerinteressen verpflichtete Partei scheint uns nicht der geeignete Ratgeber für den Aufbau einer unabhängigen, basisdemokratischen Gewerkschaftsbewegung.

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