info nr. 16, Dezember 1990

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ab Januar 1991 wird unser Info-Blatt unter einer neuen Überschrift erscheinen: Initiative für kritische Gewerkschaftsarbeit (IKG)

Wer und was ist die Initiative für kritische Gewerkschaftsarbeit?

In Ost und West gibt es Kolleginnen und Kollegen, die versuchen, Arbeitnehmerinteressen konsequenter und nachdrücklicher wahrzunehmen, als es ihrer eigenen Gewerkschaft manchmal lieb ist. Sie verfolgen dabei nicht den - leider auch in der Gewerkschaft anzutreffenden - "sozialpartnerschaftlichen" Kurs, sondern stellen ihre Forderungen kompromisslos an die Arbeitgeber. Nicht selten werden sie dabei von ihrer eigenen Gewerkschaft "zurückgepfiffen". (Wenn sie trotzdem ihre Haltung vertreten und z.B. eigene Listen bei den Betriebsratswahlen aufstellen, kann es zu den berühmt-berüchtigten Ausschlussverfahren kommen wie jüngst in Bochum!)

Weil es aber nicht gerade einfach ist, sich gegen den Unternehmer und gleichzeitig gegen die eigene Gewerkschaft durchzusetzen und man damit ziemlich allein in seinem Betrieb sein kann, haben sich solche Kollegen in kleinen Gruppen und Initiativen zusammengeschlossen, wo sie ihre Erfahrungen austauschen und über mögliche Aktivitäten beraten.

Die Initiative für kritische Gewerkschaftsarbeit versteht sich als Sammelbecken dieser Initiativen und Einzelpersonen. Sie wird deren Veranstaltungen bekanntgeben und über ihre Inhalte berichten.

Die Informationen zur kritischen Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit werden jeden Mittwoch von 18 - 20 Uhr in der Frankfurter Allee 286, 1130 Berlin, Tel.: (...) gesammelt und weitergereicht. Verantwortlich für das Büro sind René M(...), Ruth S(...) und Heidrun Z(...). Jeden 2. Mittwoch im Monat trifft sich hier auch der Initiativkreis kritische Gewerkschaftsarbeit.

Auf der nächsten Seite stellen wir kurz die uns bekannten Initiativen und Veranstaltungen, vor allem im Berliner Raum, vor.

Renate H(...)


Neues Forum, Prenzlauer Berg,
Gewerkschaftsgruppe
: Diese Gruppe versteht sich vor allem als Möglichkeit, Erfahrungen auszutauschen. Sie ist Anlaufstelle für alle, die Probleme haben im Betrieb, wenn möglich, wird ihnen Hilfe vermittelt. Treffen: Jeden Dienstag von 17-19 Uhr, Paul Robeson Str. 44, Tel. (...)

Oppositionelle Gewerkschafter Ost/Westberlin:
geplant sind Treffen in 4-5 Wochenabständen; die Themen werden gemeinsam festgelegt und ergeben sich aus der aktuellen Berlinsituation (z. B. ungleiche Tarife) erstes Treffen: 17.12.90, 19 Uhr, Haus der Demokratie, W. Pieck-Saal, Kontaktperson: Georg F(...), Tel. (West) (...), Job; (...) (priv.)

Betriebsräte-"Selbsthilfegruppe":
an einem ersten Treffen dieser Gruppe hatten 45 Kolleginnen und Kollegen teilgenommen, sie beschlossen, diesen Kreis fortzusetzen. Inhalt: Austausch von Problemen, die Betriebsräte vor allem in der ehemaligen DDR haben, wenn sie sich nicht als verlängerter Arm des Arbeitnehmers [vermutlich Arbeitgeber gemeint] verstehen...Termin: 5.12.90, 19 Uhr, Frankfurter Allee 286, Korntaktperson: Reiner B(...), (...) 1157 Berlin

"Neue Einheit" Gewerkschafter, Betriebsräte und aktive
Kontakttelefon: ( Westberlin) (...) oder (...)

Arbeitskreis Kritische Gewerkschafter Post: Am Runden Tisch werden Probleme in den Einzelgewerkschaften besprochen, (z.B. Fragebögen, Reprivatisierung) Jeden Dienstag im Haus der Demokratie, Raum 205, 19-20 Uhr, Kontaktperson: Werner J(...), (...) dienstl.)

Christa K(...): Teilnehmerin des Runden Tisches Arbeitslosigkeit, Sekretariat, VL, Tel.: (...)/ App. 41

Betriebsrätetreffen (Bodo Z.-Arbeitskreis): seit Jahren treffen sich kritische Betriebsräte der BRD und diskutieren wichtige Themen (z. B. Arbeitszeitverkürzung und wie stellen wir uns dieser Forderung?) Unter dem Motto "Solidarität oder Konkurrenz!?" trifft sich der Kreis am 11.12.90 im DGB-Jugendzentrum in der Keithstraße, 18.30 Uhr, Thema: Was kann der Betriebsrat machen, wenn der Westunternehmer kommt?

Oppositionelle Erzieherinneninitiative: entstanden nach dem Berliner Kita-Streik. Kontaktperson: Stefania P(...), (...), 1 Berlin 65

Kritik an DGB-Satzung und Praxis: eine kleines Gruppe, die unser Heft "Hurra, der DGB ist da!" überarbeiten wird. Kontaktperson: René M(...), Tel.: (...) /priv.), (...) /dien.)

Kritische Gewerkschafter Krefeld: arbeitet für eine Gewerkschaftsbewegung von unten, gegen Stellvertreter Politik und Sozialpartnerschaft. Kontaktperson: Dirk E(...), (...), 4150 Krefeld


D A S  W A R  U N S E R  B E I T R A G  Z U M   4.  11.  1990

Kolleginnen und Kollegen !

Der DGB und seine Einzelgewerkschaften haben uns in den letzten Wochen mit einer Flut von Informationen zur Funktion, zum Aufbau und zur Arbeitsweise westlicher Gewerkschaften überschüttet.

Dagegen ist nichts einzuwenden, denn als ehemalige DDR-Arbeitnehmer müssen wir rasch für künftige Auseinandersetzungen gerüstet sein. Von Unternehmerseite wird versucht, die Marktwirtschaft in der ehemaligen DDR auf brutalste Weise durchzusetzen. Dabei nutzen sie unsere Unsicherheit und unsere fehlende Erfahrung aus. Deshalb werden uns demnächst harte Arbeitskämpfe ins Haus stehen, um unsere Rechte durchzusetzen. Dafür brauchen wir Gewerkschaften, in denen wir unsere Interessen wirkungsvoll vertreten können.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Forderungen werden von den Gewerkschaftsleitungen nicht automatisch aufgegriffen. Darum ist Druck von unten nötig. Keinesfalls dürfen wir dem Gewerkschaftsapparat unkritisch gegenüberstehen, denn wie sich Apparate verselbständigen können, haben wir in 40 Jahren kennen gelernt.

Von westdeutschen Gewerkschaftsmitgliedern wissen wir, dass auch im DGB mehr als nur kleine Korrekturen anstehen. Die massive Kritik dieser Kolleginnen und Kollegen richtet sich gegen den bürokratischen Apparat, gegen die ungenügende Berücksichtigung der Basisinteressen und immer wieder dagegen, dass es fast unmöglich gemacht wird, Veränderungen in der Leitungsarbeit von unten nach oben durchzusetzen. Ihre Erfahrungen lehren uns: Aufbau und Struktur des DGB haben durchaus sehr undemokratische "Haken", von der Praxis ganz zu schweigen. Da gibt es Ausschlüsse wegen "Unvereinbarkeit", Koalitionsgesetze, die rasche Verbote ermöglichen, undurchschaubare Gesetzgebungen und -zig Möglichkeiten, Einflüsse der Basis auf die Entscheidungen der Gewerkschaftsleitung zu verhindern.

Viele Kollegen in der ehemaligen DDR versprechen sich einiges von ihrem Eintritt in den DGB und sie haben nicht unrecht, verglichen mit der Unfähigkeit des FDGB, Lohnforderungen zu stellen und Arbeitskämpfe zu organisieren. Zugleich müssen wir den neuen Funktionären aber auf die Finger schauen und uns von der Illusion verabschieden, dass ohne Druck von unten die Gewerkschaftsleitung zu radikalen Forderungen bereit ist.

Auch in der Gewerkschaft muss es also zukünftig heißen: "Verlasst euch bloß nicht auf eure Leitungen!"

Initiative kritische Gewerkschaftsarbeit (IKG)
Frankfurter Allee 286
0 - 1130 Berlin
Mittwoch 18.00 - 20.00 Uhr
Telefon: (...)
ehemals Initiative für unabhängige Gewerkschaften (lUG)


Erfahrungen weitergeben lohnt sich immer

Am 24.11. fand im Haus der Demokratie ein Erfahrungsaustausch mit Ost/Westkollegen zu den Betriebsratswahlen in der ehemaligen DDR statt. Von den vielen angesprochenen Fragen, konnten einige schon vor Ort durch "erfahrene Westler" beantwortet werden. So z.B., wie man als neuer Betriebsrat eine vorher beschlossene Abfindung von 500,- DM für den entlassenen Kollegen wieder rückgängig macht ... oder wie man sich verhält, wenn ein anonymer Fragebogen auftaucht und niemand weiß, wozu das Ding eigentlich gut ist. Zu anderen Fragen gab es solche eindeutigen Verhaltensregeln nicht: Im ehem. Fleischkombinat in Berlin z.B. stehen Maschinen aus dem Westen, die Westfirmen liefern aber - zufällig? - keine Verarbeitungsmaterialien (Plastikdärme). Der Betrieb kommt so in die roten Zahlen. Hier waren sich alle einig: So etwas gehört in die Öffentlichkeit!

Auf die Bemerkung einiger Anwesenden, sie glaubten nicht, dass ihnen ihre Gewerkschaft Schulungen anbietet, es sei ja auch nicht eine Information zu den Betriebsratswahlen gekommen, wurde von den Westkollegen übereinstimmend betont: auf die Gewerkschaftsleitungen kann man sich nicht verlassen, ohne Druck von unten läuft nichts.

Stefanie H(...)


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Unser kleines Heftchen mit 20 Seiten Kritik an der DGB-Satzung und Praxis ist fertig gestellt.

Hurra, der DGB ist da!

hat uns Druckkosten gemacht, die wir aus Spenden bezahlt haben. Kommen jetzt nicht bald neue Spenden an, müssen wir unsere Arbeit aufgeben. Darum: 1,- DM pro Heft. Die Bestellungen sind an die IKG (Siehe 1. Seite) zu richten. Und wer kann uns mit Spenden weiterhelfen - kleine und großen - alles ist erwünscht ! Unser Konto: Postgiroamt Berlin, Kontonr. (...), BLZ: 100 100 10, Empfänger A(...)

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