Farbe bekennen - denn Grün heißt Leben

Ein Wahlslogan Ihrer Partei lautet: "Wählt grün". Was spricht den aus Ihrer Sicht so für diese Farbe?

Grün ist das Leben, das gibt es einfach wieder. Ich glaube, manche meinen, wir pflanzen Bäume oder beschäftigen uns mit der Begrünung. Doch unsere Problematik geht weiter. Wir entwickeln ein DDR-eigenes Wappen: ein Kopf mit einem grünen Baum. Die Beziehungen der Menschen zur Umwelt sind ungeheuer vielfältig. Wichtig ist zu begreifen, was auf einem anderen Wahlplakat von uns steht: "Wir haben die Erde nicht von unseren Eltern geerbt, sondern von unseren Kindern geborgt".

Nun scheint das "grüne Thema" gerade vor der Wahl auch bei anderen Parteien beliebt zu sein.

Hier passt einer unserer Wahlslogans "Viele haben sich das grüne Mäntelchen angezogen, wir haben den Grünen Hut auf!"

Aber ernsthaft. Ökologie und Marktwirtschaft das verträgt sich unserer Meinung nach nur, wenn ein ökologisches und soziales Sicherheitsnetz eingebaut wird. Ein radikaler ökologischer Umbau ist unumgänglich, will die Menschheit die nächsten 50 Jahre überstehen. In der Entflechtung großer Kombinate sehen wir erste wichtige Schritte. Hier gilt es die Betriebsprozesse für den einzelnen überschaubar zu machen.

Der ökologische Umbau der Wirtschaft und der Landwirtschaft und gleichzeitiges Engagement für sozial Schwache sind wichtige Aussagen in Ihrem Wahlprogramm. Ist das nicht ein Widerspruch?

Sicherlich hören sich manche unserer Forderungen recht unsozial an. Ich denke da an die Schließung von Betrieben oder Tierproduktionsanlagen, die den ökologischen Erfordernissen nicht gerecht werden. Doch mit unserem Wirtschaftskonzept bieten wir Alternativen an. Wir sind für die verschieden Eigentumsformen. In ländlichen Gebieten sollte sich wieder altes traditionelles Handwerk etablieren. Wir setzen uns ein für Teilzeitarbeitsplätze. Außerdem brauchen wir starke Betriebsräte. Es muss demokratische zugehen, wenn entschieden wird, was mit dem einzelnen Mitarbeiter passiert.

Gleichzeitig plädieren wir für eine "Umweltpolizei" zur Überwachung der Produktion. Sie sollte aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden.

Ihre Partei hat im Bezirk [Neubrandenburg] Basisgruppen in 12 Kreisen. Sind die Mitglieder mit solchen anspruchsvollen Aufgaben wie dem ökologischen Umbau der Wirtschaft nicht überfordert?

Stimmt schon, unsere Mitgliederzahlen sind nicht so gewaltig. Aber wir wollen versuchen, Maximalforderungen anzusetzen, um andere, stärkere Parteien von ihren Minimalforderungen auf das Optimum zu bringen. Wir haben viele Fachkräfte, die schon seit Jahren auf der Strecke des Umweltschutzes und in sozialen Bereichen arbeiten. Sie sind zu uns Grünen gekommen, weil sie wissen, dass es um eine konsequente Politik u.a. für den Umweltschutz in unserem Land geht. Wir werden auch manchmal fälschlicherweise mit den Grünen aus der Bundesrepublik in einen Topf geschmissen.

Viele schauen aber in dem gerade zu Ende gehenden Wahlkampf gen Westen. Wie halten's die Grünen damit?

Auf jeden Fall nicht so wie manche der starken Parteien, die bloß die Hände aufmachen. Eigentlich ist es lächerlich, dass sie versuchen, mit Cola-Büchsen, Kugelschreibern und allem möglichen Zeug Wählerstimmen reinzubekommen. Natürlich bemühen wir uns um Kontakte mit Basisgruppen in der Bundesrepublik. Ich selbst war schon mehrere Male zwischen Hamburg und Gießen unterwegs, habe mich als DDR-Grüner bestaunen lassen. Okay, ich gebe zu, wir haben einen Kopierer und einen Anrufbeantworter bekommen, auch Plakate nutzen wir. Aber Grüne aus dem Bundesgebiet kommen hierher zum Erfahrungsaustausch, nicht um auf Wahlveranstaltungen aufzutreten.

Laut war auf so mancher Wahlveranstaltung der Chor "Deutschland einig Vaterland" zu hören. Stimmen die Grünen hier mit ein?

Die Einheit wird kommen. Wir sind dafür, dass historisch gewachsen Strukturen wieder zusammenfinden. Das sollte auf dem Weg zum geeinten Europa in einer Konföderation passieren. Unsere Vorschläge gehen dahin, dieses Jahr eine europäische Sicherheitskonferenz einzuberufen. Sie sollte mit der Entmilitarisierung der beiden deutschen Staaten und mit dem Ausklinken aus den beiden Militärblöcken beginnen. Freiwerdende Mittel und Kapazitäten könnten für die Dritte Welt genutzt werden. Der Sicherheitskonferenz müsste sich eine europäische Umweltkonferenz anschließen.

Viele Bauern bangen bei einem schnellen Zusammenschluss um ihren Boden und damit um ihre Existenz. Zum Beispiel fordert der "Demokratische Aufbruch" Besitzer von land- und forstwirtschaftlichen Flächen in sämtliche Rechte wiedereinzusetzen. Welchen Standpunkt hat Ihre Partei dazu?

Die Bodenreform muss rechtwirksam anerkannt werden. Die Bauern sollen selbst entscheiden, wie sie weiter wirtschaften wollen. Natürlich setzen wir auf einen ökologischen Landbau. Unsere Arbeitsgruppe Regionalprogramm beschäftigt sich mit dieser Frage. Wer Interesse hat, kann sich direkt an uns wenden. Wir haben einiges an Material zu diesem Thema zu bieten.

Bei uns im Norden scheint die Welt noch heil. Keine dicke Luft wie in Halle, Leipzig oder Bitterfeld.

Wer sich ein bisschen mit der Umwelt beschäftigt, erkennt genau, dass das was uns umgibt nicht natürlich ist - eben eine Kulturlandschaft. Früher gab es hier riesige Mischwälder, heute gibt es riesengroße kahle Flächen. Wir im Bezirk haben stark mit Bodenerosionen zu kämpfen. Nach und nach werden auf diesen Flächen Flurgehölze gepflanzt. Die Ackerflächen müssen wieder kleiner werden, natürlich angepasst. Dadurch könnt man Schäden auf den Böden vermeiden, wenn man die richtige Technik einsetzt. Bekannt ist sicherlich die Verschmutzung vieler Seen wie der Müritz, des Tollensees, der Feldberger Seenplatte. Mit etwa 70 Prozent trägt die Landwirtschaft zur Seeverschmutzung bei.

Natürlich setzen wir uns auch dafür ein, dass wertvolle Biotope erhalten bleiben. Bedrohte Tier- und Pflanzenarten wie der Schwarzstorch, Lurche, Fischotter oder Wiesenorchidee wollen wir durch eine kluge Umweltpolitik schützen.

Auch das Verkehrskonzept für Neubrandenburg gehört zu unserm Programm. Warum musste das O-Bus-Projekt so schnell sterben? Sicherlich sollte man das Argument mit den Schwerlasttransporten nicht unberücksichtigt lassen. Aber warum wurden nicht verschieden Varianten erarbeitet, auch Lösungen aus dem Ausland herangezogen?

Welche Arbeitsformen nutzt die Grüne Partei?

Weitgehend suchen wir die Zusammenarbeit mit vorhandenen Arbeitsgruppen in der Gesellschaft für Natur und Umwelt, der Stadtökologie, dem Unabhängigen Frauenverband und dem Behindertenverband. Leute, die solche Gruppen leiten, sind zum großen Teil zu uns in die Partei gekommen, weil sie gesehen haben, dass die Arbeit mit unserer Umweltpolitik weiterzuführen ist. Wir wollen Hilfe geben, Erfahrungen vermitteln.

Muss man trotz alledem nicht ein bisschen Idealist sein, um grüne Politik zu machen?

Sicherlich ist hier die Frage, was den Leuten gegenwärtig am nächsten liegt. Ich kann mir vorstellen, dass viele mehr auf die keinen Präsente aus dem Westen abfahren, als sich Gedanken zu machen, was aus unseren Kindern und Enkeln wird. Insofern muss man schon ein bisschen Idealist sein.

Sind die Mitglieder Ihrer Partei nicht manchmal sehr kompromisslos?

Sicherlich, den viele machen Basisarbeit schon seit Jahren. Und es wurde lange nur geredet und geredet. Wir wollen da mal raus, und endlich Resultate sehen. Ich werde zum Beispiel öfters gewarnt, wenn's um die Atomkraft geht. Wir fordern den konsequenten Ausstieg. Wir sind uns dabei bewusst, dass wir nicht fordern können, morgen schließen alle Atomkraftwerke. Dazu muss es ein konkretes Programm für den schrittweisen Abbau geben. Das ist Aufgabe der Politik, dafür die Voraussetzungen zu schaffen. Viele machen sich darüber keine Gedanken, nach der Devise: Ich krieg meinen Strom sauber und billig aus der Wand. Und es kann doch wohl nicht sein, dass ein Betrieb wie der VEB Geothermie nicht konsequent gefördert wird.

(Das Gespräch führte B. Gudat)

aus: Freie Erde, Unabhängige Tageszeitung, Nr. 62, 14.03.1990, Herausgeber: Verlag Freie Erde

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