"Wichtig ist, nicht zur Politmaschine zu werden"

Die drei Frauen von Bündnis 90/Grüne im Bundestag, Vera Wollenberger (Grüne), Christina Schenk (Unabhängiger Frauenverband) und Ingrid Köppe (Neues Forum), äußern sich zu Fragen der Frauenpolitik und ihren persönlichen Schwerpunkten in der künftigen Parlamentsarbeit

taz: Die West-Grünen haben in der Vergangenheit auch versucht, feministische Politik in den Bundestag zu bringen. Wollt ihr diese Erbschaft antreten?

Ingrid Köppe: Wir treten insgesamt nicht die Erbschaft der Grünen an, sondern werden eigene Sachen einbringen. Das betrifft nicht nur die Frauenfrage, sondern sämtliche inhaltlichen Schwerpunkte. Dennoch gibt es bei den Grünen vieles, auf das wir aufbauen werden.

Vera Wollenberger: Da wir aber nur zu acht sind, können wir sowieso nicht das gesamte Themenspektrum der Grünen abdecken, sondern müssen Schwerpunkte setzen. Frauenpolitik wird meiner nicht sein. Ich habe mich dafür nie besonders interessiert. Mein Anspruch war immer, dass wir klassische Männerthemen besetzen müssen, wenn wir überhaupt etwas bewegen wollen.

Christina Schenk: Auch ich möchte keine extra Frauenecke, sondern mich in alle Themen einmischen. Wobei ich nicht für Frauenpolitik stehe, sondern für feministische Politik.

Ingrid Köppe: Politik ist ein sehr männliches Geschäft. Wenn Frauen ganz bewusst versuchen, Männer in der Politik nicht nachzuahmen, wird allein dadurch schon ein anderes Gewicht eingebracht. Wir sollten versuchen, eine Verbindung und Solidarität unter den Frauen im Parlament herzustellen. Ich habe in der Stadtverordnetenversammlung in Berlin öfter erlebt, dass die Verständigung unter Frauen verschiedener Parteien und Fraktionen leichter läuft als zwischen Frauen und Männern.

Die Probleme der Frauen in der ehemaligen DDR sind riesengroß. Von euch wird jetzt einiges erwartet.

Vera Wollenberger: Auf uns lasten nicht nur die Interessen der Menschen in der ehemaligen DDR. Auf mir als grüner Frau lastet auch der Erwartungsdruck der gesamten grünen Partei. Aber ich werde mich in der Hauptsache nicht für Frauen einsetzen. Dafür haben wir ja Christina in der Fraktion.

Ingrid Köppe: Ich möchte die Frauenproblematik nicht einfach an Christina delegieren. Das ist auch ein Widerspruch zum Anliegen der Bürgerbewegung. Wir gehen davon aus, dass jede und jeder einzelne sich selbst einmischen muss. Ich als Frau im Bundestag muss also auch frauenspezifische Sachen einbringen.

Christina Schenk: Ich bin sehr froh, wenigstens von Ingrid zu hören, dass ich die Frauen nicht allein vertreten muss. Der feministische Aspekt spielt in diesem Bündnis nur ganz am Rande eine Rolle.

Vera Wollenberger: So möchte ich mich nicht verstanden wissen, dass ich dir Hilfe verweigern würde oder nicht solidarisch wäre. Ich habe lediglich gesagt, dass Frauenpolitik nicht mein Schwerpunkt ist. Es ist ja auch eine Kräftefrage. Ich habe drei Kinder und einen Mann. Wichtig ist, nicht zur Politmaschine zu werden, sondern Politik zu machen und eine Familie haben zu können. Wenn man das schafft, hat man schon eine ganze Menge erreicht.

Ich möchte meine Kräfte auf das Problem der Stasi in der Wirtschaft konzentrieren und dazu beitragen, dass wirklich entmilitarisiert wird. Wir müssen dafür sorgen, dass die Tiefflugübungen und die Manöver endlich aufhören. Ich will auch Anlaufpunkt für Bürgerinitiativen gegen Truppenübungsplätze, Militärobjekte, Waffenlager sein.

Auf den anderen Schwerpunkt bin ich erst durch den Wahlkampf gekommen. Es scheint eine Existenzfrage für unsere Wirtschaft zu sein, dass die Stasi dort offensichtlich Schlüsselpositionen besetzt hat. Dutzende Betriebsräte erzählen alle die gleiche Geschichte. Das extremste Beispiel ist ein Gipswerk mit 640 Beschäftigten. 500 wurden entlassen, unter den restlichen 140 Beschäftigten sind sämtliche bekannte Stasi-Leute des Betriebes. Und die Entlassungen sind sogar vom Chef dieser Stasi-Leute unterschrieben worden. Dabei geht es auch um die Existenz von Frauen. Denn in diesem Betrieb sind sämtliche Frauen entlassen worden. Praktisch sind damit alle Frauen des Dorfes arbeitslos geworden, weil auch die Kinderkrippe geschlossen wurde.

Zum Stichwort "Haushalten mit den eigenen Kräften": Christina, welche Schwerpunkte setzt du dir für die kommende Legislaturperiode?

Christina Schenk: Wichtig sind Fragen wie der Paragraph 218, ob man Wirtschaftsförderung koppeln kann an Frauenförderung, ein Antidiskriminierungsgesetz. Die Themen lassen sich unendlich fortsetzen. Aber bei den momentanen Mehrheitsverhältnissen sind das nicht mehr als schöne Utopien. Mehr, als für ein paar Highlights zu sorgen, ist nicht drin.

Ingrid Köppe: Das geht uns allen acht so. Wir wissen, dass wir Entscheidungen wenig beeinflussen können. Ich sehe unseren Schwerpunkt nach wie vor außerhalb des Parlaments, in der Information und Zusammenarbeit mit Arbeitskreisen und Gruppen.

Thema Paragraph 218. Die FDP sagt, sie will sich für den Vorschlag Fristenlösung mit Zwangsberatung Bündnispartnerinnen suchen. Wie steht ihr dazu?

Christina Schenk: Diesen Vorschlag lehne ich ab.

Wird sich das Bündnis überhaupt auf eine einheitliche Position einigen können? Konrad Weiß, der auf Süssmuth-Linie liegt, sagt eindeutig, dass er seinem Gewissen folgen will.

Ingrid Köppe: Das finde ich gut und richtig. Das Besondere am Bündnis ist ja, dass es keinen Fraktionszwang gibt. Innerhalb des Bündnisses sind die Diskussionen über den Paragraphen 218 sehr bewegt. Ich glaube nicht, dass es gut ist, in diesem Fall mit einem vorgefertigten Standpunkt reinzugehen. Viel wichtiger ist eine breite öffentliche Diskussion. Sehr viele Leute wissen immer noch nicht, was der Paragraph überhaupt bedeutet.

Es gibt eine gesellschaftliche Mehrheit gegen den Paragraphen 218. Nach der Bundestagswahl aber ist die Gefahr größer denn je, dass die Strafbarkeit von Abtreibungen gesamtdeutsch durchgesetzt wird. Von euch wird erwartet, dass ihr eine eindeutige Position bezieht und dafür Kräfte mobilisiert.

Christina Schenk: Das wird nicht geschehen. Die BürgerInnenbewegungen sind nicht politikfähig, weil sie sich bei fast keinem Thema, und beim Paragraphen 218 schon gar nicht, auf eine Position einigen können.

Ingrid Köppe: Das impliziert die Illusion, dass wir bei einheitlichem Auftreten Mehrheitsverhältnisse beeinflussen könnten. Es ist auch falsch, zu sagen, wir müssen Kräfte mobilisieren. Solche Ausdrücke sind für mich ohnehin männlich belegt. In diesem Fall ist es viel wichtiger, dass die Gruppen, die sich schon lange mit dem Thema beschäftigen, von außen Druck auf das Parlament machen. Was wir versuchen könnten, ist, zum Beispiel zum Paragraphen 218 ein gesamtdeutsches Frauenvotum zu verlangen.

Interview: Ulrike Helwerth/Helga Lukoschat

aus: TAZ Nr. 3285 vom 13.12.1990

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