Fraueninteressen setzen sich nicht automatisch durch

Viel getan - zugleich aber viel zu wenig

Quotierungen schaffen nötige Zwänge für die Gleichberechtigung

Von Prof. Dr. GISELA EHRHARDT und Dr. UTA RÖTH, Frauenforscherinnen am Institut für Soziologie und Sozialpolitik der Akademie der Wissenschaften

Es drücken uns derzeit wahrlich viele Probleme, aber: In unserem ganzen Land brechen an allen Ecken gesellschaftliche Widersprüche auf, treten unterschiedliche Interessenkonstellationen zu Tage, eben auch die von Frauen. Die Schwierigkeit bei der Einordnung spezifischer Fraueninteressen besteht doch gerade darin, dass sie nicht neben den gesamtgesellschaftlichen stehen. Jedoch setzen sie sich nicht automatisch durch.

Jetzt ist die Zeit, wo auch Frauen sich selbst in den Prozess der Umgestaltung einbringen und ihre Interessen artikulieren und einfordern müssen. Ansonsten werden wir Frauen bei der Erneuerung zu kurz kommen. Dazu bedarf es der Information, des Austausches und der Diskussion über spezifische Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen und Männern. Hierzulande ist viel getan worden für die Frauen, sie selbst haben die Grundlagen dafür gelegt. Einen internationalen Vergleich auf diesem Gebiet braucht die DDR nicht zu scheuen. Vieles liegt aber auch noch im argen. Ein öffentliches Bewusstsein darüber existiert kaum bzw. wurde nicht befördert. Zum Beispiel solche Themen wie Gewalt gegen Frauen sind völlig tabuisiert worden.

Als Frauenforscherinnen sehen wir unsere Verantwortung darin, Informationen für den notwendigen Prozess der Sensibilisierung über die reale Situation von Frauen zu vermitteln. Auf dieser Basis sollen Frauen sich selbst zu Wort melden und artikulieren, worum es ihnen geht.

Die DDR ist zweifelsohne ein frauenfreundliches Land. Es ist aber bei weitem noch nicht so, dass Frauen und Männer, Mädchen und Jungen sich sozial gleich entwickeln können. Wir Frauen werden noch in vielen gesellschaftlichen Bereichen sozial benachteiligt. Es kann im folgenden nicht die ganze Breite sozialer Differenzierungen zwischen Frauen und Männern aufgezeigt, nur einiges angerissen werden:

Mit dem kontinuierlichen Anwachsen des Bildungs- und Qualifikationsniveaus von Frauen gleichen sich die Anteile der Geschlechter (im Alter bis zu 40 Jahren) in den einzelnen Qualifikationsstuten an. In ihrem beruflichen Tätigsein haben Frauen sich hohe fachliche und politische Kompetenzen erworben. Das drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass ein Drittel aller Leitungsfunktionen durch Frauen besetzt sind. Aber: Diese Funktionen befinden sich (fast) alle auf den unteren Ebenen, und ihr Anteil stagniert seit Jahren. In den höchsten Funktionen und Ämtern von Partei und Regierung zeichnet sich noch ein düstereres Bild. Frauen haben in unserer Republik nur relativ geringe Möglichkeiten, an wirklich entscheidenden Stellen der Macht ihr Wort und ihre Tat einbringen zu können. Unseres Erachtens ist des mit nichts zu rechtfertigen. Abgesehen davon ist es auch eine Verschwendung gesellschaftlichen Reichtums. Deshalb fordern wir, dass mittels Quotierung - als Übergangsvariante - Zwänge geschaffen werden, damit Frauen und Männer zu gleichen Teilen an der politischen und wirtschaftlichen Macht teilnehmen. Zugleich werden in der Berufswelt Frauen noch immer häufig solche Tätigkeiten übertragen, die in geringerem Maße als bei Männern ihr Wissen, ihre Fähigkeiten, eben ihr fachliches Können abverlangen. Das führt zu niedrigeren Einkommen. Ebenso fraglich ist, dass typische Frauentätigkeiten und Volkswirtschaftszweige mit hohem Frauenanteil traditionell im gesellschaftlichen Maßstab geringer bewertet werden. Warum z B. verdient eine Krankenschwester weniger als ein un- bzw. angelernter Kraftfahrer?

Sehen wir uns den Bereich der Familie an, dann wird auch gegenwärtig noch das Gros der Hausarbeit, der Betreuung und Erziehung der Kinder, aber auch die Pflege älterer Familienmitglieder von Frauen getragen. Damit wollen wir überhaupt nicht in Abrede stellen, dass Männer sich zunehmend progressiv den Familienaufgaben zuwenden bzw. angesichts der Schwierigkeiten in der Versorgungssituation gar nicht umhin können, sich zu beteiligen. Unterm Strich bleibt aber eine höhere physische und psychische Beanspruchung der Frau in der Familie.

Die vorrangige Zuschreibung der Familienaufgaben an Frauen wird sogar gefördert durch ein gesellschaftliches Klima, in dem mit Vehemenz von der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mutterschaft gesprochen wird und sozialpolitische Maßnahmen meist einseitig an Mütter adressiert sind. Da männliche Arbeitskräfte als stabiler, zuverlässiger gelten, ist bei den ablaufenden wissenschaftlich-technischen Umwälzungsprozess, wahrzunehmen, dass für entwicklungs- und einkommensträchtige Tätigkeiten Männer bevorzugt und Frauen benachteiligt werden. Des bleibt nicht ohne Folgen für die Stellung der Frauen und Männer in der Familie. Darum weisen wir mit Nachdruck darauf hin, dass Frauen aus der historisch gewachsenen höheren Beanspruchung in der Familie auch ein größeres Interesse daran haben, dass ihr durch die Gesellschaft Aufgaben abgenommen und Erleichterungen geschaffen werden. Zur Zeit betrifft das vor allem die Misere im Dienstleistungs- und Versorgungssystem.

Des Weiteren müssen wir uns endlich davon befreien, von Frauen schlechthin zu sprechen. Frauen entwickeln im Zuge unterschiedlicher Lebensbedingungen, Interessen und sozialer Erfahrungen, differenzierte Ansprüche an Beruf und Familie. Da gibt es zum Beispiel allein stehende berufstätige Mütter, Frauen, die mit drei Kindern lieber zu Hause bleiben möchten; Wissenschaftlerinnen, die zugunsten dir beruflichen Entwicklung auf Kinder verzichten, Fließbandarbeiterinnen, die nur 1 Stunden arbeiten möchten - um nur einige Varianten zu nennen. Die Gesellschaft muss dieses tolerieren und akzeptieren lernen bzw. die materiellen wie ideellen Bedingungen für eine differenzierte Lebensgestaltung schaffen.

Und zum Schluss, aber nicht ohne geringere Bedeutung: Wie steht es mit den bisher existierenden Fraueninteressenvertretungen in Partei und Gewerkschaft? Wie mit dem DFD? Sie sollten zu ihren ursprünglichen Zielen und Funktionen zurückkehren. Auch autonome Frauenbewegungen sollten zugelassen werden.

Wir appellieren an Frauen und Männer, sich auch bezüglicher dieser gesellschaftlichen Fragen in den Umgestaltungsprozess mit einzumischen.

aus: Berliner Zeitung, Nr. 275, 22.11.1989, 45. Jahrgang. Die Redaktion wurde mit dem Karl-Marx-Orden, dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold und dem Orden "Banner der Arbeit" ausgezeichnet.

Δ nach oben