Wer kocht den Kaffee für die neuen Chefs?

Keine Experimente auf Kosten der Frauen zulassen

Seit der Wende darf in unseren Land nun auch das Wort Feminismus verwendet werden. Die einen schreiben es zu Recht auf ihre Fahnen, die anderen haben es mehr so als Feigenblatt vorgehängt, manche meinen sogar "einen ganz anderen Feminismus" (?), was allemal verdächtig ist.

Jedenfalls werden Defizite endlich deutlich ausgesprochen. Sichtbar waren sie schon lange. Es sind nur die alten und neuen Regierungsfotos anzuschauen, die Zusammensetzung leitender Gremien zu besichtigen, nachzusehen, wer in Betrieben den Chefsessel innehat und wer den Kaffee kocht.

Auch in der Opposition unterscheiden sich die Bilder nicht wesentlich. Am Runden Tisch dominieren Männer, ebenso auf Pressekonferenzen und in neuen Parteivorständen. Die Frauen, die am Anfang der Bewegung führend und prägend dabei waren, sind meist schon längst in die zweite Reihe zurückgetreten, weil sie, oft alleinerziehend oder auch per Familie ins patriarchalische System eingebunden, dem Dauerstress nicht gewachsen sind. Da die Strukturen nicht radikal verändert wurden, sondern nach wie vor Männer-, sprich Machtpolitik, und Berufspolitikermentalität gefragt sind, kommen Frauen nicht vor.

Es sind Hoffnungen zu setzen auf den Unabhängigen Frauenverband, der seit dem 3. Dezember mit seinem Elf Punkte Programm ein klares 2. frauenpolitisches Konzept ins Gespräch gebracht hat zu dem Forderungen wie die nach einem Frauenförderfonds, nach frauenfreundlicher Preispolitik nach Frauenausschüssen und einem konkreten Gleichstellungsgesetz gehören.

Die "Vereinigte Linke", die grundsätzlich davon ausgeht, dass wahrhafte Frauenpolitik linke Politik sein muss, unterstützt diese Forderungen. In ihrem Programm tritt sie ein für eine Quotierung, die von flankierenden Maßnahmen begleitet ist, um sie auch tatsächlich zu realisieren.

Wiedervereinigung und Rekapitalisierung unserer Wirtschaft bedeuten insbesondere für Frauenpolitik einen Rückschritt, denn eine umfassende und preiswerte Kinderbetreuung, eine selbstverständliche Berufstätigkeit von Frauen und die Chancen gleicher Ausbildung sind zu verbessern, mit neuen Inhalten und Ansprüchen zu versehen, aber nicht aufzugeben. Es bedarf doch keiner Frage, wer die ersten sind, die von Entlassung und von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen werden, bei wessen Ausbildung zuerst wieder gespart wird. Pikanterweise wurden ja, auch die ersten Subventionen ausgerechnet bei Kinderkleidung gestrichen.

Feministisches Denken hat trotz aller postulierter Gleichberechtigung in unserem Lande nie Fuß gefasst, deshalb haben es jetzt die Vertreter des westlichen Lebensmodells so leicht. Statt Vollbeschäftigung von Männern und Frauen auf einem niedrigerem Arbeitszeitniveau wird die männliche Leistungsgesellschaft beschworen, den Frauen in der Praxis wieder ihr Platz am Herd zugewiesen - das nennt man auch verdeckte Arbeitslosigkeit und weibliche Reservearmee für Zeiten der industriellen Konjunktur. Denn das ist eben Alltag in der Bundesrepublik, aber dazu müsste eine ja hinter die Glitzerkulissen blicken.

Statt bezahlter Hausarbeit und Kinderbetreuungsgeld für Männer und Frauen wird die Sehnsucht nach bunter und umweltzerstörender Haushalthightech genährt Die Produktwerbung als Ersatzbefriedigung hält schon jetzt Einzug, wo noch nicht einmal das passende Geld fürs Ausgepriesene im Umlauf ist.

Frauen in der DDR sollten sich Experimente zu Lasten sozialer Sicherheit, Gleichheit und alternativer Entwicklungsmöglichkeit nicht gefallen lassen. Sie sollten sich in vielfältigen und kraftvollen Frauenzusammenhängen finden, um endlich ihre Interessen zu vertreten, und die sind unserer Meinung nach nun mal ein linkes und subversives, ein lebenserhaltendes und phantasievolles Potential.

Marion Seelig
Kirche von Unten

aus: Podium in der Berliner Zeitung, Nr. 29, 03./04.02.1990, 46. Jahrgang.

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