Wahlrummel - und wir mittendrin?

CORNELIA MATZKE,
Fraueninitiative Leipzig

Jetzt auch noch Wahlrummel. Und wir mittenrein. Vielleicht Funktionsübernahmen in örtlichen, regionalen und republikweiten Vertretungen. Kostet das nicht zu viel Kraft? Ist nicht Basisarbeit unsere Arbeit? Darüber "machen wir Meinung". Wir als Teil der Öffentlichkeit wollen Öffentlichkeit als gleichwertige Gewalt im gesellschaftlichen Leben.

Die Teilnahme der Frauen an den Interessen des Staates ist nicht allein ein Recht, sie ist eine Pflicht der Frauen, schrieb Louise Otto Peters in einem 1847 veröffentlichten Aufsatz. Damals erlebten die Menschen in Deutschland eine Zeit des Aufbruchs. Wir brechen heute hier auf - ja wohin? Wende und Marktwirtschaft, sozial-ökologisch.

Leicht fließt es aus wahlkampfgespitzten Stiften. Die Bleigewichte solcher Worte scheinen schnell vergessen oder gar nicht mitgedacht:

Ellenbogenmentalität, Marktwirtschaft, Sozialabbau. Natürlich nicht für gesunde, kräftige Marketing-Menschen. Könnten wir uns wirklich schuldfrei sprechen, wenn wir uns eine Frauennische einrichten, aber nicht gleichzeitig versuchen, am Ganzen der Gesellschaft mitzutun? Diese Frage braucht keine Antwort. Wir sind in die Pflicht genommen aus Verantwortung auch für uns selbst.

Also Teilnahme an der Wahl, deren vorausgehende Zeit ein Wettbewerb um gute Lösungen zur Gestaltung einer Solidargemeinschaft füllen sollte, kein Kampf. Wenngleich es nicht immer freundlich zugehen wird, wenn Männer gefordert sind, Machtanteile abzutreten. Denn es geht auch um Machtteilung zwischen Frauen und Männern. Wir wollen eine Strukturänderung der männlich dominierten Gesellschaft. Das passiert nicht im Selbstlauf. Die Kontrolle der Lastenverteilung des Subventionsabbaus, soweit dieser überhaupt berechtigt ist, erfolgt über Gremien, in denen heute Frauen und Männer nicht mit gleichem Anteil vertreten sind. Die stumm bleiben, werden nicht gehört! Wir müssen unsere Ideen in die Öffentlichkeit bringen, sowohl durch Basisarbeit als auch Teilnahme in gesellschaftlichen Entscheidungsgremien. In diese jedoch gelangen wir nur durch Wahl. Und wenn wir nicht gewählt werden, weil redende Frauen allemal verdächtig erscheinen - vornehmer: nicht integer - so haben wir wenigstens die Möglichkeit genutzt, um unsere Ideen vorzubringen. Von den sich überstürzenden Veränderungen gehetzt, dürfen wir nicht paralysiert zuschauen, sondern müssen die Initiative behalten. Was wir jetzt vergeben, vergeben wir für Jahre. Revolutionen finden nicht alle Tage statt.
(leicht gekürzt)

aus: Leipziger Volkszeitung, Nr. 35, 10./11.02.1990, 45.(96.) Jahrgang, Organ für die Interessen des werktätigen Volkes


[Die Fraueninitiative Leipzig ging aus dem Neuen Forum hervor und war Teil des Unabhängigen Frauenverbandes.]