Die Spitzenkandidatin

Seit der Wende darf in unserem Land nun auch das Wort Feminismus verwendet werden. Die einen meinen ihn so wie sie es sagen, andere haben sogar "einen ganz anderen Feminismus" (?) im Sinn, was allemal verdächtig ist. Jedenfalls werden Defizite endlich deutlich ausgesprochen. Sichtbar waren sie schon lange. Es sind nur die alten und neuen Regierungsfotos anzuschauen, die runden Tische und neuen Parteivorstände, und es ist nachzusehen, wer in den Chefsesseln sitzt und wer den Kaffee kocht.

Meine Freundin Eleonore hat sich auch in eine der vielen Bewegungen eingebracht, und dort trotz Männerübermacht sehr wacker für die Rechte der Frauen und ihren politischen Ansatz gestritten. Das eine oder andere war dann sogar in Statut und Programm der Bewegung wiederzufinden. Eine erhebliche Einschränkung ihres Tuns musste sie natürlich von Anfang an in Kauf nehmen, denn Eleonore hat einen Partner und mehrere Kinder. Wie oft verwunderte sie sich darüber, dass die engagierten Männer in ihrem Umfeld weder Partnerin noch Kinder zu haben schienen, denn sie konnten bei allen wichtigen Anlässen präsent sein, mussten weder Rückfrage halten noch Kinderbetreuung klären. War es wieder einmal spät geworden bei den häufigen Sitzungen und Veranstaltungen, fehlte meiner Freundin die Konzentration - nicht nur aus Müdigkeit wie bei allen anderen - sondern weil sie sich eine Begründung einfallen lassen musste, und überlegte, ob der Aufsatz unterschrieben war und die Jeans gewaschen.

Sie beschwor die Rotation für alle Leitungsgremien, weil nur eine kurze Zeitspanne gerade noch so vom Partner zu akzeptieren war. Sie trat für die Quotierung ein, jedoch nur halbherzig. Denn was nützte ihr das - sie musste ihre Kinder versorgt wissen, sie musste auch das Geld verdienen und vor dem Partner gab es eh keine Entschuldigung. Der meldete schon nach vier Wochen nun endlich mal seine Defizite an, seine Vorstellungen von Partnerschaft und wochenendlichem Beisammensein. Politik wäre sowieso nur für machtgeile Charaktere gut, und wer sich da hineinbegäbe, der passe sich der Norm an.

Meine Freundin Eleonore hatte nun gerade dies ändern gewollt, und hatte auf viele Mitstreiterinnen gehofft nach der Wende. Aber die wenigen Frauen, die es gepackt haben - ohne Kinder und mit anderen Partnern - halten's mit den Männern und sind so nicht die rechten Mitstreiterinnen.

Eleonore hat nun eine Spitzenkandidatur abgelehnt, bleibt den nächtlichen Sitzungen fern und konzentriert sich auf ihre eigentliche partnerschaftliche Bestimmung. Ein wenig dürfte sie ja mittun, aber da sie eben mitgestalten wollte, hat sie dazu keine Lust. Auch nicht zum Kaffeekochen, obwohl ihr die Chefsessel nun wirklich schon wieder verdächtig erscheinen und nicht erstrebenswert.

Meine Freundin Eleonore sagt, eigentlich hätte sie schon immer gewusst, dass man die Strukturen nicht durchbrechen kann, weil immer die selben männlichen Machtpolitiker am Werk sind und nirgends engagierte Frauen in der Landschaft, die sich mit ihren spezifischen Ansätzen einbringen können.

Marion Seelig

Die Andere Zeitung Berlin, Nr. 8, Do. 15.03.1990, Zeitung für basisdemokratische Initiativen im Auftrag des Landessprecherrates des Neuen Forum, herausgegeben von Klaus Wolfram

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