Dr. Wolfgang Ullmann, Demokratie Jetzt:

Viel mehr war nicht zu erwarten

BZ: Sind Sie enttäuscht, Herr Ullmann?

Dr. Ullmann: Ich bin der Meinung, im Gegensatz zu vielen, die ihre Enttäuschung ausdrücken, dass man nicht viel mehr hätte erwarten können. Wir haben eine Erklärung von beiden Seiten, die erstens besagt, dass jetzt beide Staaten auf eine gemeinsame Perspektive zugehen, und zweitens, dass nächste Woche Expertengespräche darüber beginnen, wie ein Hilfsprogramm für die DDR in Bewegung gebracht werden kann, das zwei Ziele hat: Die wirtschaftliche Umgestaltung und ein Programm flankierender Sozialmaßnahmen, damit die wirtschaftliche Umgestaltung nicht zu Lasten der DDR-Bevölkerung geht.

BZ: Mehr war nicht drin?

Dr. Ullmann: Diese Frage zielt natürlich auf die bekannten 15 Milliarden. Hier irren, glaube ich, manche Leute, die der Meinung sind, Herr Waigel oder Herr Kohl würden einen 15-Milliarden- Scheck aus der Tasche ziehen. Das habe ich nicht erwartet. Das Programm, von dem ich eben gesprochen habe, um das es in dieser Expertenkommission gehen wird, hat sicher ein Finanzvolumen von dieser Größenordnung.

BZ: Internationale Fragen wurden, wie wir hörten, eher am Rande behandelt?

Dr. Ullmann: Ja, das war ausgesprochene Absicht des Bundeskanzlers. Er hat das gleich am Anfang seiner Erklärung in der internen Runde gesagt, dass er nicht weiter darauf eingehen wolle und dass man sich auf deutsch-deutsche Fragen zu konzentrieren hätte.

BZ: Damit stehen all diese Fragen weiter im Raum.

Dr. Ullmann: Ja, aber sollte es anders sein? Ich denke: lösen konnte man sie hier an diesem runden Tisch auf keinen Fall. Ich freilich kann der ganzen Sache eine positive Seite abgewinnen: Manche halten das natürlich für wenig - aber ich bin mit sehr pessimistischen Gefühlen hierhergekommen. Und die haben sich zum Glück nicht bewahrheitet.

BZ: Aber wie soll es nun in der DDR weitergehen - bis zu den Wahlen?

Dr. Ullmann: Es wird sich nicht wesentlich von dem unterscheiden, was wir jetzt haben. In der Tat werden konkrete Programme anlaufen. Auch ehe wir hierher kamen, waren ganz bestimmte Dinge schon festgelegt. Ich beklage etwas, dass in den Medien schlecht darüber informiert wird, dass die Regierung ja schon (auch im Kontakt mit der Bundesregierung) alles mögliche ausgearbeitet hat, z. B. ein Warenlieferungsprogramm westlicher Produktion. Das alles wird in nächster Zeit anlaufen. Auch andere Dinge. Und die Bevölkerung wird erfahren von Unterstützungsgeldern für Arbeiter, die umgeschult werden oder andere Arbeitsplätze einnehmen müssen. Illusionär wären Hoffnungen, dass von heute auf morgen der Aussiedlerstrom zu stoppen wäre. Er ist meines Erachtens erst dann zu stoppen, wenn das Sozialgefälle zwischen der Bundesrepublik und der DDR geringer wird.

Das Gespräch führte
Bo Adam

aus: Berliner Zeitung, Jahrgang 46, Ausgabe 39, 15.02.1990. Die Redaktion wurde mit dem Karl-Marx-Orden, dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold und dem Orden "Banner der Arbeit" ausgezeichnet.