Für das Recht eines jeden als Basis jeder Politik

"Tribüne" sprach mit Dr. Wolfgang Ullmann, Minister und Mitbegründer der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt

Im Statut Ihrer Bürgerbewegung wird der 12. September 1989 als Starttermin angegeben, mitunter auch ein früherer Zeitpunkt genannt. Was ist richtig?

Der 12. September, denn erst da waren wir eine Bürgerbewegung. Hervorgegangen sind wir aus einer kirchlichen Initiativgruppe, die jedoch schon 1987 entstand. Sie bildete sich im Zusammenhang mit einem Papier, das dem Prinzip und der Praxis der Abgrenzung eine Absage erteilte. Wir wollten nicht länger dulden, dass nach außen friedliche Koexistenz proklamiert, innen jedoch Abgrenzung betrieben wurde.

"Wir wollen eine bürgernahe Politik machen", betonen Sie. Was heißt das?

Sehr viel, wenn nicht gar alles. Zuerst heißt das für uns, jeder Bürger, jede Bürgerin soll so das Bürgerrecht ausüben können, wie es ihm oder ihr zusteht. Aber auch so, dass dabei Rechte anderer, vor allem Menschenrechte, nicht beeinträchtigt werden. Und wenn wir uns in diesem Zusammenhang zur Wirtschaft und Ökologie äußern, dann auch deshalb, weil wir an die Menschenrechte kommender Generationen mitdenken.

Demokratie heißt Volksherrschaft, klar. Nur, wie ist das vorstellbar, wer beherrscht wen?

Unser Konzept sieht Herrschaft unter den Bedingungen der Rechtsstaatlichkeit vor. Die erste Bedingung ist ein demokratischer Charakter der Herrschaft. Herrschaft darf nur zustande kommen, wenn alle Bürgerinnen, alle Bürger in freier, geheimer, gleicher Entscheidung diejenigen benennen, denen sie die Herrschaftsverantwortung anvertrauen wollen. Für Herrschaft braucht man Macht. Aber Machtausübung ist für uns nicht der Inhalt und schon gar nicht der Zweck der Herrschaft, sondern die Machtausübung dient einzig und allein dazu, allen Bürgerinnen und Bürgern zu ihrem Recht zu verhelfen.

Offen sein für alle, aber Mitgliedern einer Partei den Zugang zu verwehren, beißt sich das nicht?

Das leitet sich aus dem Wahlgesetz ab . . . Wir sind für alle da, verwehren keinem den Zugang, jeder kann in unserer Bürgerbewegung mitarbeiten. Ein Parteimitglied kann sich nur nicht als Kandidat für ein Parlament aufstellen lassen. Ließen wir das zu, würden wir im Parlament vertretenen Parteien Mandate zuschleppen. Das wollen wir nicht.

Ihre Bürgerbewegung will vor allem auf örtlicher Ebene handeln. Wie soll das geschehen?

Dadurch, dass sich Vertreter von DEMOKRATIE JETZT für die Gemeinschaftsaufgaben in der Gemeinde und auch in der Region engagieren. Das sind kommunale Probleme im Sozialsektor, ökologische Fragen, Fragen, die mit Industriestandorten, unter Umständen auch mit Standorten bäuerlicher Betriebe zusammenhängen . . . Momentan werfen uns die örtlichen Gruppen vor, wir würden uns in Berlin zu sehr um zentrale Fragen kümmern. Nicht von der Hand zu weisen. Obwohl wir das eine tun, das andere nicht lassen sollten, bis zu den Kommunalwahlen muss sich das geändert haben.

Alles redet von D-Mark. DEMOKRATIE JETZT auch?

Wir müssen darüber reden. Vor allem jedoch darüber nachdenken. Insbesondere über die Gefahren, die sich aus einer Währungsunion ergeben und auf die Experten aufmerksam machen. Ein Übergang zur Konvertibilität unserer Mark und die dadurch mögliche sogenannte Härtung der D-Mark würde ich für besser finden. Das setzt währungspolitische Maßnahmen voraus, über die bereits nachgedacht wurde und die man durchführen könnte.

Deutschland einig Vaterland fordern viele...

Das ist nicht nur eine Forderung, sondern eine Tendenzaussage. Die beiden Teile des ehemals Deutschen Reiches, die durch den kalten Krieg künstlich getrennt wurden, bewegen sich unaufhaltsam aufeinander zu. Das Ziel kann nur ein Bund deutscher Länder, das heißt eine Föderation sein.

Ihre Politik ist Verantwortung für das Überleben der Menschheit. Sehen Sie da Berührungspunkte zu den Gewerkschaften?

Politik für den Bürger zu machen ohne den wichtigsten Teil der arbeitenden Bevölkerung? Das geht nicht. Insofern müssen wir schon den Kontakt zu den Gewerkschaften suchen, das Gespräch finden. Wir vertreten und verteidigen die Betriebsverfassung und die Arbeitermitbestimmung, haben dazu im Programm Aufgaben formuliert. Das ist doch auch im Interesse der Gewerkschaften? Interessant wäre für mich, wie die Gewerkschaften über die Perspektive des Streikrechtes unter den Bedingungen der letzten industriellen Revolution, der Automatisation, denken.

Das Gespräch führte
Roland Tittel

aus: Tribüne, Nr. 47, 07.03.1990, 46. Jahrgang, Zeitung der Gewerkschaften

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