Aktion "Reine Weste":
Keiner war's gewesen

Zur Korrektur der Personalakten in den Betrieben

Überall geben die Kaderabteilungen neue Personalbögen aus. Die Personalabteilung beim Ministerrat hat nämlich die "Ordnung zur Führung von Personalakten" bis zur Herausgabe neuer Rechtsvorschriften "modifiziert". Bezeichnenderweise trägt die entsprechende Anordnung kein Datum. So entsteht der Eindruck, die in die Regierung berufenen Minister der Opposition hätten womöglich daran mitgewirkt.

Aber was heißt "neue Personalbögen"! Da zur Herstellung keine Zeit blieb, sind es die alten. Von den 32 Rubriken sind 11 gestrichen oder eingeschränkt. Unter anderem muss nicht mehr aufgeführt werden: gegenwärtige und bisherige Zugehörigkeit zu Parteien und Massenorganisationen, Wahlfunktionen in Parteien und gesellschaftlichen Organisationen, staatliche und gesellschaftliche Auszeichnungen, Besuch von Parteischulen, Zugehörigkeit zu bewaffneten Organen, Angaben über Eltern und Geschwister. Gleichzeitig wird der Inhalt der Akte "entsprechend den zu erwartenden neuen Regelungen" aktualisiert. Was für ein vorauseilender Gehorsam!

Warum aber überhaupt Aufhebens machen von dieser Aktion? Die eigentlichen Akten, die uns zu gläsernen Menschen machten, wurden doch ohnehin an anderer Stelle geführt. Und die sind versiegelt so sie nicht vorher vernichtet wurden. Erst die Kombination der Akten von Kaderabteilung und Staatssicherheit lässt erkennen, dass ein fähiger Spezialist nicht Abteilungsleiter werden konnte, weil er beispielsweise Westverwandtschaft hatte.

Zum andern wird allen, dir meinen, es nötig zu haben, Gelegenheit gegeben, sich von ihrer Vergangenheit zu trennen. So wird manchem Funktionär der Start in die Marktwirtschaft leichter fallen, wenn aus der Personalakte getilgt ist, dass er vor seiner Ernennung zum Direktor noch schnell die Bank der Parteischule gedrückt hat.

Die Nomenklatura, Nutznießer des gescheiterten Systems, organisiert sich nunmehr als Mafia. Zunächst verschafft sie sich eine reine Weste. Ihre Personalunterlagen sind sauber. In der Kampfgruppe war am Ende niemand.

Ludwig Mehlhorn
Demokratie Jetzt

aus: Podium, die Seite der neuen Parteien, Initiativen und Gruppierungen in der Berliner Zeitung, Nr. 59, 10./11.03.1990, 46. Jahrgang

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