Erklärung des Demokratischen Aufbruchs - sozial, ökologisch

Zum ersten runden Tisch im Bezirk Cottbus

Am 5. Dezember 1989 kam es auf Einladung der LDPD zum ersten runden Tisch des Bezirkes Cottbus, zu dem Vertreter der etablierten Parteien und Massenorganisationen, der neuen Demokratiebewegungen und der Kirchen eingeladen waren. Dabei wurde allseits guter Wille beteuert, sich für unser Land einzusetzen. Von einigen Vertretern der Blockparteien wurden auch wesentliche Forderungen vorgetragen, die allerdings schon längere Zeit DDR-weit bekannt sind und zum Großteil zuerst von den oppositionellen Bewegungen und Parteien formuliert worden sind.

Angesichts der fatalen Lage, in der sich die politische Führung in unserem Land und die Wirtschaft befinden, ist dieses Miteinander-Reden aber nicht ausreichend; aus meiner Sicht sogar politisch verantwortungslos. Ich möchte diese Kritik stichpunktartig begründen.

Wenn bei einem solchen runden Tisch etwas herauskommen soll, was mehr ist als die Verlegung der Dialoge von der Straße zurück in geschlossene Räume, muss die Kompetenz dieser Versammlung geklärt werden. Wenn es nicht zu konkreten Forderungen und Entscheidungen auf Bezirksebene kommt, ist dieser Tisch überflüssig. Es ist unbefriedigend, wenn nicht einmal klar war, dass dazu ein Protokoll angefertigt wird. Es entsteht der Eindruck, dass hier die Vertreter der Oppositionsgruppen zeitlich und moralisch verbraucht werden sollen. Der Demokratische Aufbruch ist nicht bereit, seine moralische Integrität als neue Partei für die Profilierung der alten Parteien, auch der Blockparteien, zur Verfügung zu stellen. (In diesem Sinne ist, wie die LR [Lausitzer Rundschau] vom 8.12.1989 meldete, meine "energische" Äußerung gemeint gewesen, das Vertrauen der neuen Parteien und Bewegungen nicht zu missbrauchen, wenn sie der Einladung zu einem "solchen" runden Tisch folgen.) Das bedeutet nicht, dass man nach ehrlichen Wahlen nicht auch gemeinsam ganz pragmatisch Politik machen kann. Aber wenn es um Einheitsverlautbarungen von diesem runden Tisch gehen soll um das "Vertrauen, das es zurückzugewinnen gilt", oder die SED-Genossen immer noch nicht mehr zu sagen haben, als zur Ruhe und Besonnenheit zu ermahnen, wird der Ernst der Lage wieder einmal verkannt.

Wir müssen endlich begreifen lernen, dass Entscheidungen und Forderungen, die vor einer Woche noch progressiv waren, heute schon die Entwicklung aufhalten können. Wenn in Betrieben Warnstreiks angedroht werden - und natürlich ist ein Generalstreik als letztes der gewaltfreien Mittel auch legitim - und klare Forderungen bestehen, kann die SED nicht anfangen, darüber nachzudenken, ob eine Arbeiterpartei in die Betriebe gehört, sondern hat schleunigst dort auszuziehen. Es wäre besser, es ginge ohne Streiks, aber dass acht Wochen lang die Regierung Modrow nicht eine essentielle Gesetzesvorlage vorgelegt hat und verbindliche Termine zur Verabschiedung bestehen, übersteigt die Geduld der arbeitenden Menschen und wohl auch mancher Betriebsdirektoren.

Von seiten des Demokratischen Aufbruchs sollen neben den vielerorts formulierten Forderungen hier einige ganz konkrete benannt werden.

Chancengleichheit bei Wahlen heißt gleiche Ausgangspositionen für alle demokratischen Parteien. Wir haben die Enteignung der SED und der Blockparteien gefordert.

Unrechtmäßiges Eigentum sind u.E. nicht nur die Milliarden eines Schalck-Golodkowski, sondern auch andere SED-eigene Betriebe und vor allem Druckereien.

Das gleiche gilt für die "kleinen" Korruptionsgeschenke, die die Blockparteien für ihre 40jährige Statistenrolle erhalten haben. Es bedarf nicht nur eines Parteiengesetzes, sondern auch eines Parteienfinanzierungsgesetzes.

Diese wesentlichen Punkte sollen am "großen runden Tisch" in Berlin verhandelt werden. Dennoch muss jeder an seinem Platz heute den Mut zu Entscheidungen finden, die nötig sind, um zu retten, was noch zu retten ist. Gerade weil die Gesetze dafür noch nicht gegeben sind und auf Anweisung von oben zu warten nur zu größerer Verunsicherung führt. Für den Cottbuser runden Tisch hätte das an zwei Beispielen bedeuten können, dass er nicht nur eine parteienunabhängige Bezirkspresse fordert, sondern konkret formuliert:

Übernahme der Druckerei der "Lausitzer Rundschau" in staatliches Eigentum, Berufung eines Pressebeirates aus Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Bereiche, Organisation einer geregelten Übernahme von Technik und Personal bis zum 31.1.1990. Oder: Bereitstellung von Geschäftsräumen für die neuen Parteien. (Der DA ist an einer eigenen Geschäftsstelle zum 1.1.1990 im Cottbuser Zentrum interessiert und nicht einverstanden mit einem "Untermietsvertrag" bei einer der etablierten Parteien.)

Leider kam es zu keinen verbindlichen Absprachen. Die Pressemitteilung in der LR vorn 6. Dezember 1989 ist noch schlechter als das Gespräch selbst. Vertrauen in die politischen Kräfte in unserem Bezirk kann so nicht wachsen. Von Seiten des DA: Schade um die Zeit! Wir müssen die richtigen Stellen finden, an denen der Kampf lohnt.

6. 12. 1989
Günter Nooke
Demokratischer Aufbruch - sozial, ökologisch

aus: Lausitzer Rundschau, Nr. 293, 12.12.1989, 38. Jahrgang, Sozialistische Tageszeitung für den Bezirk Cottbus

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