Signal zum Bleiben

Eine Währungsunion könnte den Umbau der DDR-Wirtschaft beschleunigen

Von Ingrid Matthäus-Maier

Die deutsch-deutsche Politik steht unter Erfolgsdruck: Der anhaltende Übersiedlerstrom aus der DDR erschwert dort die Reformen und verschärft in der Bundesrepublik die Probleme auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie bei den sozialen Sicherungssystemen. Um den Exodus zu stoppen, muß den Menschen in der DDR rasch eine Zukunftsperspektive eröffnet werden, damit sie in ihrer Heimat bleiben. Die bisher vorgeschlagenen Reformansätze zur notwendigen Sanierung der DDR-Wirtschaft werden aber mehr Zeit beanspruchen, als die Menschen in der DDR und die Regierungen in Ost-Berlin und Bonn haben. Hier könnte die Währungspolitik eine Lösung bieten. Dazu sieben Thesen.

These 1: Wenn die Währung der DDR nicht allgemein als "Geld" akzeptiert wird, wird sich die D-Mark in der DDR weiter ausbreiten und die DDR-Mark verdrängen.

Geld ist in der DDR vorhanden. Woran es fehlt, ist ein ausreichendes Warenangebot und eine Währung, mit der jedes gewünschte Gut im eigenen Land und auch außerhalb gekauft werden kann. Wenn die DDR-Mark diese Währung nicht ist, wird die D-Mark diese Lücke füllen.

These 2: Die DDR braucht eine konvertible Währung.

In einer offenen Volkswirtschaft wird nur eine Währung als voll werthaltig angesehen, mit der auch außerhalb des eigenen Währungsgebietes Waren und Dienste erworben werden können. Daher gehört die Konvertierbarkeit der DDR-Mark, also die Möglichkeit, sie zu einem bestimmten Kurs in Devisen umtauschen zu können, zu Recht zu den Zielen der anstehenden Reformen.

These 3: Die Schaffung einer konvertiblen DDR-Mark aus eigener Kraft erfordert viel Zeit, die die DDR nicht hat.

Für die Stützung des Wechselkurses einer konvertiblen Mark sind Devisen erforderlich. Die für die Devisenerwirtschaftung notwendige internationale Wettbewerbsfähigkeit der DDR-Wirtschaft ist aber nur mittelfristig zu erreichen. So notwendig eine tiefgreifende Reform der DDR-Wirtschaft auch ist, sie ist kein kurzfristig wirksamer Lösungsansatz, mit dem der Übersiedlerstrom gestoppt werden kann. Die zehn Jahre, die in den fünfziger Jahren die Bundesrepublik bis zur Konvertierbarkeit der D-Mark brauchte, stehen heute nicht zur Verfügung.

These 4: Eine rasch wirksame Lösung wäre die Bildung eines deutsch-deutschen Währungsverbundes.

Wenn die beiden deutschen Staaten zusammenwachsen sollen, dann müssen die Bundesrepublik und die DDR schrittweise zu einer immer enger werdenden Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschaft und der Währungspolitik kommen. Ein deutsch-deutscher Währungsverbund wäre ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur deutschen Einheit.

Es gibt Stimmen, die einen Währungsverbund erst am Ende des Reformprozesses sehen. Sie verkennen, daß wegen der engen Wechselwirkungen zwischen wirtschaftlicher Annäherung und währungspolitischer Integration ein paralleles Vorgehen erforderlich ist. Parallelität kann selbstverständlich nicht vollkommenen Gleichschritt von Wirtschafts- und Währungspolitik bedeuten. Auch bei der Bildung des Europäischen Währungssystems (EWS) hat die Währungspolitik bei der EG-Integration eine Führungsfunktion übernommen, die wegen des Erfolges des EWS heute niemand mehr kritisiert.

Ein Währungsverbund der beiden deutschen Staaten brächte für beide Seiten Vorteile:

Die DDR verfügte über eine auch international akzeptierte Währung, die sie für Importe verwenden kann, um damit das Investitions- und Konsumgüterangebot zu vergrößern.

Der steigende Wohlstand in der DDR würde viele DDR-Bürger veranlassen, in ihrer Heimat zu bleiben. Die Bundesrepublik würde die Kosten sparen, die durch die Zuwanderung der DDR-Bürger entstünden.

Bei der Schaffung eines deutsch-deutschen Währungsverbundes wäre zunächst eine feste Anbindung der DDR-Mark an die D-Mark denkbar. Bei fixem Wechselkurs wäre es im Ergebnis gleichgültig, ob man über D-Mark oder DDR-Mark verfügt. Unter den gegebenen Bedingungen müßten die für einen deutsch-deutschen Währungsverbund in der DDR erforderlichen Rahmenbedingungen rasch geschaffen werden.

Dazu gehören die Reform des Preissystems, die Beseitigung des Kaufkraftüberhangs, etwa durch Ausgabe von Eigentumstiteln über bisher im Staatseigentum befindliche Unternehmen und Wohnungen, und unumkehrbare Maßnahmen zur Reform des Wirtschaftssystems. Zwingend notwendig wäre auch eine unabhängige Zentralbank, eine streng stabilitätsorientierte Geldpolitik und ein nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen funktionierendes Bankensystem.

These 5: Nur die stabile D-Mark als eindeutige und unbestrittene Leitwährung kann den Erfolg des deutsch-deutschen Währungsverbundes garantieren.

In einem Währungsverbund mit der Bundesrepublik kann die geldpolitische Steuerung in der DDR nur im Einvernehmen mit der Deutschen Bundesbank erfolgen. Entsprechende Regelungen wären notwendiger Vertragsbestandteil des Währungsverbundes.

Ein Währungsverbund könnte folgendermaßen funktionieren:

Für das Austauschverhältnis von D-Mark und DDR-Mark wird ein fester Wechselkurs politisch vorgegeben. Dieses Kursverhältnis hängt ab von der Höhe des für die Kursstützung zur Verfügung stehenden D-Mark-Betrages (je höher das Finanzvolumen an D-Mark, desto günstiger kann der Kurs für die DDR-Mark sein) und der Höhe des hinnehmbaren Wohlstandsgefälles zwischen der Bundesrepublik und der DDR (je geringer das Wohlstandsgefälle, um so höher muß der Kurs der DDR-Mark sein).

Dieser politisch festgelegte Kurs wird durch Interventionen auf dem Devisenmarkt fixiert. Bis auf weiteres wird das einseitig dadurch erfolgen müssen, daß die DDR-Mark durch Interventionen mit D-Mark gestützt werden muß. Solange die DDR die dafür notwendigen D-Mark-Beträge nicht allein erwirtschaften kann, wird die Kursstabilisierung ohne Hilfe der Bundesrepublik nicht durchzuhalten sein. Die Kursstützung könnte zu Lasten eines gemeinsamen Währungsfonds vorgenommen werden. Die Finanzierung des Währungsfonds kann durch öffentliche Haushaltsmittel oder durch Kreditaufnahme durch den Währungsfonds, gegebenenfalls mit staatlichen Kreditgarantien, erfolgen.

Der Bundesbank ist nach geltender Rechtslage untersagt, DDR-Mark aufzukaufen. Die Bundesbank sollte schon allein deshalb nicht zu Interventionen zugunsten der DDR-Mark verpflichtet werden, um - wenn auch unberechtigte - Sorgen über die Stabilität der D-Mark gar nicht erst entstehen zu lassen. Das schließt nicht aus, daß die Bundesbank als fiscal agent im Auftrag und zu Lasten der Bundesregierung technisch tätig wird.

These 6: Denkbar und konsequent wäre ein Währungsverbund mit einer einheitlichen Währung, also eine Währungsunion.

Das sichtbarste Signal für wirtschaftlichen Aufschwung in der DDR wäre, die D-Mark als offizielles Zahlungsmittel in der DDR zuzulassen und die DDR-Mark schrittweise aus dem Verkehr zu ziehen. Eine gemeinsame Währung wäre die zu Ende gedachte Form eines Währungsverbundes. Dabei kann nach Lage der Dinge die einheitliche Währung nur die D-Mark sein.

Wenn die DDR-Mark völlig durch die D-Mark ersetzt wird, müssen die Geldbestände in der DDR (Bargeld, Sparguthaben) in D-Mark umgewandelt werden. Bei einem Bestand von 177 Milliarden DDR-Mark und einem Umtauschkurs von beispielsweise fünf Ost-Mark wären das rund 35 Milliarden D-Mark. Für die Umwandlung der Bargeldbestände in der DDR in Höhe von 15,6 Milliarden Mark (1988) wären bei diesem Kurs nur 3,1 Milliarden D-Mark erforderlich. Entscheidet man sich bei der Umwandlung der Geldbestände für sozial gestaffelte Kurse, kann sich ein anderer D-Mark-Bedarf ergeben.

Die Bundesbank könnte diese Umwandlung - wenn die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden - durchaus allein in Zusammenarbeit mit der Zentralbank der DDR ohne öffentliche Haushaltsmittel leisten. Denkbar wäre, daß die Bundesbank durch den zur Geldversorgung notwendigen zusätzlichen Bargeldumlauf die Passiva in ihrer Bilanz erhöht und gleichzeitig von der Zentralbank der DDR in derselben Höhe werthaltige Forderungen übernimmt und in die Aktive einstellt. Das Ergebnis wäre eine reine Bilanzverlängerung ohne Auswirkungen auf das Ergebnis der Gewinn- und Verlustrechnung.

These 7: Eine Währungsunion mit der D-Mark wäre für die Bürger in der DDR ein einsichtiges und überzeugendes Signal für eine rasche wirtschaftliche Besserung, das sie zum Bleiben in ihrer Heimat veranlassen könnte.

Mit einer Währungsunion würde auf der für das konkrete Leben der Menschen entscheidenden Alltagsebene die deutsche Einheit sichtbar vorangebracht. Damit würde der Druck vermindert, die deutsche Einheit auf der darüberliegenden international politisch schwierigeren staatlichen Ebene überstürzt zu vollziehen. Wer es ernst meint mit der deutschen Einheit und den Menschen in der DDR eine überzeugende Zukunftsperspektive geben will, muß sich für eine Lösung entscheiden, die ein harmonisches Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten ermöglicht.

Ingrid Matthäus-Maier ist Bundestagsabgeordnete der SPD.

Die Zeit, Nr. 4, 19.01.1990

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