DDR 1989/90Brandenburger Tor

04.09. Für eine Vereinigte Linke in der DDR, Appell

09./10.09. Gründung des Neuen Forum

12.09. Aufruf zur Einmischung in eigener Sache, Demokratie Jetzt

12.09. Aufruf der Initiativgruppe Sozialdemokratische Partei in der DDR

14.09. Die Gründung des Demokratischen Aufbruch wird bekanntgegeben

19.09. In den meisten DDR-Bezirken beantragt das Neue Forum seine Zulassung

26.09. Die "lila offensive" stellt ihr Standortpapier vor


04.09. Erste Montagsdemonstration in Leipzig

10.09. CDU-Mitglieder verfassen den "Brief aus Weimar"

11.09. Um 0 Uhr öffnet Ungarn seine Grenze zu Österreich und Jugoslawien für DDR-Bürger

11.09. Die Partei- und Staatsführung der DDR nimmt Stellung zur Öffnung der ungarischen Grenze für DDR-Bürger

18.09. Unterhaltungskünstler veröffentlichen eine Resolution

20.09. Die bundesdeutsche Botschaft in Warschau wird geschlossen. In ihr befinden sich 110 DDR-Bürger, die über die Botschaft ihre Ausreise erreichen wollen.

24.09. Treffen von oppositionellen Gruppen in Leipzig

29.09. Offener Brief von Beschäftigten des VEB Bergmann-Borsig

30.09. Die DDR-Führung gestattet die Ausreise von DDR-Bürgern, die sich in den BRD-Botschaften in Prag und Warschau aufhalten


Di. 19. September 1989


Der Wunsch der Bundessynode der Evangelischen Kirchen nach "demokratischer Parteienvielfalt" in der DDR ist in einem Katalog mit Reformforderungen enthalten, der am Dienstag in Eisenach zum Abschluss der fünftägigen Synode verabschiedet wurde.

Vor dem Hintergrund der "Massenauswanderung" von DDR-Bürgern und der Stimmung im Lande setzt sich das Kirchenparlament für eine "offene und öffentliche Auseinandersetzung mit unseren gesellschaftlichen Problemen" ein. Zu einem solchen Dialog gehöre auch "eine Öffnung der bisherigen politischen Strukturen". Die Synodalen setzen sich für "Reisefreiheit für alle Bürger", die Möglichkeit friedlicher Demonstrationen ein sowie "ein Wahlverfahren, das die Auswahl zwischen Programmen und Personen ermöglicht und Wirtschaftsreformen".
(Frankfurter Rundschau, Mi. 20.09.1989)

In Eisenach hat dieser Tage die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR stattgefunden. Bemerkenswert an dieser Kirchenversammlung war zunächst einmal der äußere Umstand, dass offenbar ebenso viele Westjournalisten nach Eisenach gekommen waren wie Synodale.

Die Erklärung für dieses große Interesse der Massenmedien mit der BRD hat nicht lange auf sich warten lassen. Die Berichte sind sehr aufschlussreich. Natürlich interessierten sich die Vertreter der bundesdeutschen Meinungsfabriken nicht einen Deut für religiöse Probleme und Angelegenheiten der Kirche. Natürlich waren sie einzig zu dem Zweck nach Eisenach gekommen, um auch von diesem Ort aus die Kampagne fortzusetzen, die sie seit einiger Zeit unter Rückgriff auf das ganze Arsenal des kalten Krieges gegen den Sozialismus im allgemeinen und gegen die DDR im besonderen führen. So erinnern die Frontberichte aus der Wartburgstadt auch nicht im geringsten an die Atmosphäre einer Kirchenversammlung, sondern vielmehr an die jener großdeutschen Stabssitzungen, bei denen vor Jahrzehnten die "Grauen Pläne" zur Wiederherstellung Verhältnisse in der DDR ausgearbeitet wurden.

Wie aus den Berichten der BRD-Medien hervorgeht, sind in Eisenach, wohlgemerkt auf einer Synode, diese alten Hüte alle wieder aufgetischt worden. Alter Quark wurde da als Frischkäse angeboten: Was den Feinden des sozialistischen deutschen Staates trotz größter Anstrengungen in vier Jahrzehnten nicht gelungen ist, die konterrevolutionäre Beseitigung des Sozialismus, der Macht der Arbeiter und Bauern auf deutschem Boden, das soll nun mit "wirtschaftlichen Reformen", Standpunkten, "die von der einstimmig von den Verantwortlichen vertretenen Politik abweichen", und mit "Gegenstrukturen" nachgeholt werden. Was da im Westen aus dem Bericht an die Synode zitiert wurde, ist in letzter Konsequenz ein Katalog von Maßnahmen, um die DDR kapitalistisch und für die "Wiedervereinigung" sturmreif zu machen.

Selbstverständlich wird da nichts draus. Wir haben unsere volkseigenen Betriebe nicht zu leistungsfähigen Kombinaten ausgebaut, damit in ihnen wieder kapitalistische Ausbeutung eingeführt wird. Wir brauchen auch keine pluralistische Medienpolitik kapitalistischer Konzerne, weil wir nicht von solchen Übeln wie Massenarbeitslosigkeit, und Drogenhandel ablenken müssen. Und unsere Parteienvielfalt ohne Neonazis ist für die Gestaltung unserer sozialistischen Gesellschaft völlig ausreichend. Was wir brauchen, sind aktive Bürger aus allen Klassen und Schichten des Volkes, die bei der weiteren Ausgestaltung des Sozialismus aktiv Hand anlegen und gemeinsam mit allen anderen die Probleme lösen, die auf diesem Wege auftauchen. Und es ist gut, dass unter denen, die zupacken, auch viele Gläubige sind, christliche und Jüdische Bürger.

Was allerdings den in den Westmedien publizierten Katalog sattsam bekannter Ladenhüter angeht, taucht doch bei jedem die Frage auf: Was hat denn das mit Kirchenangelegenheiten zu tun? Vor allem: Was haben solche abenteuerlichen, völlig unrealistischen Parolen noch mit Kirche im Sozialismus zu tun? Wäre es nicht besser, bei den vernünftigen und nützlichen Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche , aus dem Jahre 1978 zu bleiben, die jungst bei der Einweihung des Doms in Greifswald bekräftigt wurden?

W. M.

(Neues Deutschland, Do. 21.09.1989)

In 12 der 15 DDR-Bezirken beantragt das Neue Forum die Zulassung nach § 3 der Verordnung vom 06.11.1975.

Wegen der großen Anzahl von Ausreisebegehrenden aus der DDR wird die BRD-Botschaft in Warschau geschlossen.

In der Botschaft halten sich rund 110 Bürger aus der DDR auf.

In der BRD-Botschaft in Prag halten sich 510 DDR-Bürger auf.

Um das Durchschwimmen des Grenzflusses Donau zwischen der ČSSR und Ungarn für DDR-Bürger zu verhindern, werden verstärkt Posten auf der Seite der ČSSR aufgestellt.

In einer einstimmigen Entschließung des SPD-Vorstandes wird seine Bereitschaft zu weiteren Gesprächen mit der DDR-Führung bekräftigt. Der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel betont, seine Partei trete für eine "sehr weitreichende“ wirtschaftliche Hilfe an die DDR ein, wenn die dortige Führung zu Reformen bereit sei – "aber erst dann".

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