Ministerratsvorsitzender Hans Modrow gab Erklärung der Koalitionsregierung ab

Auf der 14. Tagung der Volkskammer am Donnerstag gab der Vorsitzende des Ministerrates, Hans Modrow, eine umfassende Einschätzung der Lage in der Republik. Zugleich legte er Rechenschaft über die bisherige achtwöchige Tätigkeit der - von ihm geführten Koalitionsregierung ab. "Wenn die DDR in dieser Zeit so manche harte Prüfung bestanden, wenn sie ein Stück Demokratie, ein Stück Freiheit und Ansehen gewonnen hat, so ist dies das Verdienst des Volkes, das sich auf einen neuen, einen guten Weg gemacht hat", sagte, der Regierungschef und sprach seinen Dank aus. Eine neue Politik sei begonnen worden, obwohl noch viel von der alten aufzuarbeiten sei. Er teile die Sorgen vieler Bürger um die Zukunft, habe aber auch begründeten Optimismus zu sagen: Wir alle gemeinsam besitzen Kraft und wirtschaftliche Substanz, um uns den Problemen zu stellen.

Im weiteren Verlauf seiner Rede nahm der Ministerpräsident unter anderem zu folgenden Problemen Stellung:

ÜBERBRÜCKUNGSGELD. Die Proteste gegen die Zahlung eines Ausgleichsbetrages bis zu maximal drei Jahren für ehemalige Mitarbeiter der Staatsorgane richteten sich gegen eine Vereinbarung, die auf Verlangen der zuständigen Gewerkschaft getroffen wurde. Angesichts des öffentlichen Unmutes hat der Ministerrat die Vereinbarung gekündigt. Auch hinsichtlich der Differenzzahlungen für ehemalige Mitarbeiter des Amtes für Nationale Sicherheit ist man dabei, eine neue Regelung zu suchen. Als Alternative nannte der Regierungschef eine Differenzzahlung für ein Jahr oder eine einmalige Zuwendung.

SICHERHEIT. Internationale Erfahrungen lehren, dass es neben der Armee und der Polizei verfassungsmäßige Dienste geben muss, die mit spezifischen Mitteln Rechtsstaatlichkeit und -sicherheit zu gewährleisten haben. Dazu seien Nachrichtendienst und Verfassungsschutz unter ziviler Leitung bestimmt unter parlamentarischer Kontrolle sowie mit der notwendigen Öffentlichkeit. Dabei gehe es keinesfalls darum, betonte der Redner, die Struktur des ehemaligen MfS aufrechtzuerhalten oder deren Arbeit fortzusetzen. Die Regierung werde zum 15. Januar am Runden Tisch eine detaillierte Information über die Sicherheitslage geben.

RUNDER TISCH. Die Regierung habe sich zu konstruktiver Zusammenarbeit mit dem Runden Tisch bekannt und beweise dies durch die Tat. Zugleich wandte sich der Ministerpräsident gegen Versuche, die Legitimation der Regierung zu bestreiten. Er könne sich nicht erinnern, durch einen Staatsstreich Ministerpräsident geworden zu sein.

WIRTSCHAFTSLAGE. 1989 wurden vier Milliarden Mark weniger Nationaleinkommen als geplant erreicht. In 70 Kombinaten traten Gewinneinbußen von 2,1 Mrd. Mark ein. Der Rückgang der Produktion beruhe im November/Dezember zu zwei Dritteln auf dem Weggang von Arbeitskräften. Bei der Erarbeitung des Planes 1990 bis Mitte Februar habe man sich darauf einzustellen, dass ausgehend von den objektiven Bedingungen das Produktionsvolumen im Jahre 1990 nicht höher liegen kann als 1989. Außerdem erklärte Hans Modrow: Eine Währungsreform ist nicht vorgesehen, und die Spareinlagen der Bevölkerung werden garantiert.

AUSSENWIRTSCHAFT. Statt eines vorgesehenen Exportüberschusses kam es 1989 zum Importüberschuss. Notwendig sei, in diesem Jahr hohe Exporteinnahmen zu realisieren und mit Importen sparsamer umzugehen. „Einer solchen Beschränkung der wirtschaftlichen Möglichkeiten im Inland müssen wir uns zweifellos stellen." Aufträge für Produktionsumstellungen wurden erteilt, erklärte der Regierungschef. Damit soll vor allem die Produktion jener Maschinen erhöht werden, die auf dem Weltmarkt gefragt und rentabel absetzbar sind.

INTERNATIONALE KOOPERATION. Von einem Ausverkauf der DDR im Zuge der Wirtschaftsreform könne keine Rede sein. "Nicht übermäßige, sondern ungenügende Hinwendung der DDR zu internationaler Kooperation hat unsere Wirtschaft in die gegenwärtige Lage gebracht. Nicht sogenannte nationale Autarkie haben wir nötig, sondern internationale Arbeitsteilung."

AUSSENPOLITIK. Die DDR will sich auch künftig in ihren Beziehungen nach Ost und West als verlässlich und insbesondere für seine Nachbarn als zuverlässig erweisen. Eine Vereinigung von DDR und BRD stehe nicht auf der Tagesordnung. Die DDR unterstützt den Vorschlag, in diesem Jahr ein Gipfeltreffen der KSZE-Staaten abzuhalten.
(Neues Deutschland, Fr. 12.01.1990)

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