Abteilung Hauptmechanik im VEB Eisenwerk Erla

Aus der Krise heraus mit Kraft und Besonnenheit

"In Sorge um die kritische und angespannte Lage in unserem Land rufen wir alle Werktätigen unseres Bezirkes zu Ruhe und Besonnenheit auf. Lasst die Sache, die friedlich begonnen hat, nicht im Chaos enden." Dies schrieb ans das Kollektiv der Abteilung Hauptmechanik im VEB Eisenwerk Erla, Kreis Schwarzenberg. "fp" griff ihr Anliegen auf und sprach mit dem Meister Peter R(...) und dem Brigagier Detlev V(...).

Was hat euch veranlagt, einen solchen Aufruf zu verfassen?

Peter R(...): Die jüngsten Demonstrationen in Schwarzenberg und anderen Städten verliefen sehr konträr. Einige Losungen und Aufrufe stimmen zum Teil sehr bedenklich.

Detlev V(...): Die Missstände müssen aufgedeckt werden, alle. Aber es darf keine Selbstjustiz geben. Meldungen, wonach Armeegebäude angegriffen worden sind, versetzen uns sehr in Sorge. Es muss alles friedlich weitergehen, alles andere ist kalter Kaffee.

Ruhe und Besonnenheit, was verstehen Sie darunter?

Peter R(...): Das alles, was geschieht, ohne Gewalt verläuft. Ich bin für weitere Demos, aber man kann nicht nur Forderungen stellen. Unser Land muss aus der Krise heraus. Dazu sind konkrete Taten gefragt, von jedem.

Wie haltet Ihr es damit?

Detlev V(...): Vor etwa 14 Tagen gab es auch bei uns einen Streikaufruf. Den meisten ging es mit der Erneuerung zu langsam. Staatliche Leitung, Gewerkschaft und die SED haben viel zu lange gezögert, um mit der Belegschaft zu sprechen. Doch letztlich gab es eine mehrheitliche Entscheidung, nicht zu streiken.

Peter R(...): Ein Streik, noch dazu ein landesweiter, würde unserer Volkswirtschaft Verluste in Milliardenhöhe zufügen: Außerdem steht der Winter vor der Tür. Da kann sich doch jeder ausrechnen, wohin uns ein Streik bringen würde.

Was muss im Betrieb ganz schnell verbessert werden?

Detlev V(...): Die Umkleideräume und die sanitären Anlagen befinden sich in einem katastrophalen Zustand. Bei der Gussteileproduktion fällt viel Dreck an, umso wichtiger sind ordentliche Waschgelegenheiten. Das darf man nicht länger vor sich herschieben. Dafür werden wir uns auch über die Gewerkschaft stark machen.

Viel wird jetzt über Reformen in der Wirtschaft gesprochen. Was habt Ihr für Vorstellungen?

Peter R(...): In der Wirtschaft müssen sich einschneidende Veränderungen und Verbesserungen vollziehen. Straffere Bandagen auch da waren wir bisher zu human. Es kann nicht jeder machen was er will. Als Meister hatte ich bisher eigentlich nichts zu sagen, das muss anders werden.

Detlev V(...): Ein Plan, der mit 120 Prozent geschafft wird, wie in der Vergangenheit, ist kein Plan. Da kann ganz einfach was nicht stimmen. Wir müssen viel lernen von westlicher Arbeitsorganisation und brauchen westliche Hilfe, aus eigener Kraft werden wir es kaum schaffen.

Westliche Hilfe als Allheilmittel?

Peter R(...): Anpacken und arbeiten müssen wir schon selbst, das nimmt uns niemand ab. Ich bin da optimistisch. Von den rund 500 Beschäftigten unseres Betriebes sind drei in die BRD gegangen. Das zeigt mir, die Leute wollen hier mit zupacken, mit verändern.

Detlev V(...): Das stimmt, aber die Menschen wollen auch spüren, dass sich gute Arbeit lohnt. Klar, über Nacht werden unsere Geschäfte nicht voller. Ich glaube, dass sich die Wirtschaftssysteme der beiden deutschen Staaten angleichen müssen, ohne dabei etwas zu überstürzen, aber auch ohne Zögern.

Deutschland einig Vaterland - wie stehen Sie zu dieser häufig anzutreffenden Forderung?

Peter R(...): Also meine Losung ist das nicht. Ich bin hier aufgewachsen, habe einen Beruf gelernt und ein Heim gebaut. Für mich ist der Sozialismus von der Idee her die sozialere Gesellschaft. Mein Vater hat den Kapitalismus auch mit all seinen Gebrechen kennen gelernt und mir oft davon erzählt.

Detlev V(...): Für mich ist klar, der Kapitalismus hat nichts zu verschenken. Manche Leute haben da Illusionen. Deshalb steht die Frage einer Einigung heute wohl noch nicht. Im Zuge der Angleichung der Wirtschaftssysteme beider deutscher Staaten ist für mich in Zukunft ein vereintes Deutschland allerdings durchaus vorstellbar.

Sind Sie in einer Partei organisiert?

Detlev V(...): Nein.

Peter R(...): Ich war bis vor kurzem Mitglied der SED. 28 Jahre lang. Ich habe in meine Austrittserklärung geschrieben, dass ich in eine erneuerte Partei wieder eintrete, wenn alles, aber auch wirklich alles bereinigt ist.

(Das Gespräch führte Peter Bretschneider.)

aus: freie presse, Nr. 301, 22.12.1989, 27. Jahrgang, Karl-Marx-Stadt

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